Selbsthilfegruppe
Adam Mahmud kümmert sich um arabisch sprechende Menschen mit Amputationen
Adam Mahmud ist ein fröhlicher Mensch. Und er hat etwas in Deutschland bisher Einmaliges gegründet: eine Selbsthilfegruppe für arabischsprachige Menschen mit Amputationen.
Derzeit sind sie noch eine Handvoll, die sich seit September vergangenen Jahres zweimal im Monat für zwei Stunden im Stadtteiltreff „Der Nachbar“ in der Cranachstraße 7 treffen. „Das sind viele in so kurzer Zeit“, sagt Nicole Bichlmeier vom Team des Selbsthilfetreffpunkts des Nachbarschaftsheimes Schöneberg (NBHS) in der Holsteinischen Straße 30.
Hier ist Mahmuds Gruppe „angedockt“, so wie mehr als 80 weitere Selbsthilfegruppen. Der Selbsthilfetreffpunkt unterstützt bei der Gründung und Vermittlung von Gruppen. Sie können sich in Räumen des Nachbarschaftsheimes treffen, auch wenn es dort langsam aber sicher eng wird. In Tempelhof-Schöneberg gibt es über 200 Selbsthilfegruppen, in ganz Berlin annähernd 3300, weiß Bichlmeiers Kollege Thorsten Schuler.
Die Selbsthilfe sei eine wichtige Säule im Gesundheitssystem, ein bedeutender Baustein für die Genesung und eine wertvolle Ergänzung zur professionellen Hilfe, sagt Nicole Bichlmeier. „Die Teilnehmer von Selbsthilfegruppen werden richtige Experten. Sie informieren sich über den aktuellen Stand der Wissenschaft. Sie halten Vorträge über die neuesten Errungenschaften“, sagt Lisa Reimann. Die Heilpädagogin ist Ansprechpartnerin der neuen Anlaufstelle im Stadtteiltreff an der Cranachstraße.
Ein solcher Fachmann ist inzwischen Adam Mahmud. Er stammt aus Syrien. Ihm fehlt seine rechte Hand. Vor dreieinhalb Jahren kam er nach Berlin. Der eigene steinige Weg zur passgenauen Handprothese brachte den Arabischlehrer auf die Idee, seine Erfahrungen und Erkenntnisse mit anderen in einer arabischsprachigen Selbsthilfegruppe zu teilen. „Wir sind Freunde geworden“, sagt Adam Mahmud über seine Gruppe. Dazu gehören Soraya, die junge Frau mit zwei Unterschenkelprothesen, Bahira, die dringend einen Elektrorollstuhl braucht, und Omar, der ein Bein verloren hat. „Wir sind eine lebensfrohe Gruppe, die viel lacht.“ Nach den Treffen besuchen sie das Sprachcafé in der Holsteinischen Straße. Omar und Adam gehen gemeinsam Schwimmen.
„Wir reden darüber, wie wir zurechtkommen, wenn eine Hand, die Finger oder Beine fehlen. Wir geben Erfahrungen weiter. Wir informieren uns gegenseitig über das Leben mit einer Prothese oder anderen Hilfsmitteln. Wir unterstützen uns gegenseitig und machen uns Mut“, erklärt Gruppenleiter Mahmud. In arabischen Ländern oder auch in Syrien kenne man so etwas wie Selbsthilfegruppen gar nicht. Aus Scham rede man nicht über Amputationen. Da mussten Adam Mahmud und das Team vom Selbsthilfetreffpunkt also gewaltige Hürden nehmen. „In der Gruppe wird nicht gefragt, warum ein Körperteil amputiert worden ist. Das bleibt persönlich“, so Mahmud.
Thorsten Schuler, Nicole Bichlmeier und Lisa Reimann stellen inzwischen begeistert fest, dass sich die Selbsthilfe weiterentwickelt hat: von reinen Gesprächskreisen hin zu aktiven Gruppen, die sogar Theater spielen.
Nach seinen Plänen gefragt, sagt Adam Mahmud, er wünsche sich für seine Gruppe eine Fortbildung zu „Peers im Krankenhaus“, zu Ansprechpartnern für frisch Amputierte in Kliniken. Die Zwei-Tage-Fortbildung wird vom Bundesverband für Menschen mit Arm- und Beinamputationen angeboten.
Auch die Berliner Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle (SEKIS), eine zentrale Servicestelle zur Unterstützung von Selbsthilfe, bietet Fortbildungen zur Organisation von Selbsthilfegruppen an. Wie löst man auftretende Konflikte? Wie moderiert man die Treffen? Aber auch: Wie verfasst man einen Krankenkassenförderantrag?
Auf der Internetseite von SEKIS (www.sekis-berlin.de) kann man ganz einfach nach der passenden Selbsthilfegruppe suchen. Die Selbsthilfegruppe arabischsprachiger Menschen mit Amputationen ist über den Selbsthilfetreffpunkt unter Telefon 32 50 12 97 oder selbsthilfe@nbhs.de zu erreichen. Die Treffen finden jeden zweiten und vierten Dienstagnachmittag oder -abend im Stadtteiltreff „Der Nachbar“, Cranachstraße 7, direkt am S-Bahnhof Friedenau, statt.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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