Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba über Integration und Engagement
Berlin. Dr. Wolfgang Kaschuba ist geschäftsführender Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung sowie Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität. Berliner-Woche-Reporterin Stefanie Roloff befragte ihn, wie bürgerschaftliches Engagement bei der Integration von Flüchtlingen helfen kann.
Herr Professor Kaschuba, Sie forschen über Integration und Migration. Welche Rolle spielt dabei bürgerschaftliches Engagement?
Wolfgang Kaschuba: Kurz gesagt: die wichtigste Rolle. In den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen müssen Weichen gestellt werden, was Programme, Logistik und Abläufe angeht. Aber Integration kann nur dezentral stattfinden, in Berlin auf der Ebene von Bezirken, Vierteln und Nachbarschaften. Je schneller hier Kontakte hergestellt, Räume und Lebenswelten geteilt werden, umso besser funktioniert Integration. Die wichtigste Brücke in unsere Mitte, in unseren Alltag hinein, ist die Zivilgesellschaft.
Wie hilft dieses Engagement konkret?
Wolfgang Kaschuba: Das endgültige Ankommen in Job, Schule oder Wohnung wird oft länger dauern. Doch die Teilnahme an unseren Alltags- und Freizeitformen ist von heute auf morgen möglich. Da sind so viele Aktivitäten, die unsere Lebensstile, ja, die „uns“ ausmachen – die aber auch viele Flüchtlinge teilen. Deshalb gelingt es gerade in diesen Bereichen leichter, Kontakte zu knüpfen und Gemeinsamkeiten zu finden. Das reicht von Sportgruppen über die Mitwirkung in Chören oder in Tanzgruppen bis hin zum Urban Gardening-Projekt oder Theaterbesuch.
In vielen Herkunftsländern gibt es bürgerschaftliches Engagement nicht. Wie kann man Flüchtlinge an dieses heranführen?
Wolfgang Kaschuba: Wir müssen natürlich ein paar Türen öffnen: unsere und andere. Und das gelingt der Zivilgesellschaft, indem sie auf die Menschen aktiv zugeht und ihnen Angebote macht. Es gelingt aber auch in Kitas und Schulen oder über digitale Informationen auf Englisch oder Arabisch. Wichtig ist Information, Respekt – und dass es nichts kostet. Denn eines fehlt den Flüchtlingen, um an unserer Lebensstilgesellschaft teilzuhaben: Geld.
Wie treten Flüchtlinge selbst in Aktion?
Wolfgang Kaschuba: In Berlin helfen Flüchtlingen mit bei der Organisation von Konzerten oder von Führungen im Pergamonmuseum, um den Besuchern kulturelle Zeugnisse der syrischen Heimat zu erklären. Zudem engagieren sich Flüchtlinge für andere Flüchtlinge im Hilfs- und Beratungsbereich, sowohl in den Heimen als auch im Internet. Online gibt es Informationsbörsen mit Hinweisen für Neuankömmlinge, wie mit Polizei und Behörden umzugehen ist, wer wo hilft und wo was in Berlin zu finden ist. Viele helfen außerdem im Sprachbereich und fungieren als Dolmetscher.
Bleiben Flüchtlinge in ihrem Engagement zu sehr unter sich?
Wolfgang Kaschuba: Flüchtlinge brauchen einerseits die versichernde Nähe anderer Flüchtlinge, die ihnen sprachliche Heimat und den Erfahrungsaustausch über Flucht und Ankommen ermöglichen. Andererseits müssen sie sich zugleich auch nach außen wenden und öffnen. Das fällt ihnen oft nicht leicht. Ein Blick in die Migrationsgeschichte der BRD zeigt aber auch, dass Abgrenzung stets auch von der Mehrheitsgesellschaft kam. Es hat oft lange gedauert, bis Menschen mit einem anderen Pass oder Glauben in Vereine und Nachbarschaften aufgenommen wurden. Und das ist zum Teil auch heute noch so.
Kann Engagement Vorurteile abbauen?
Wolfgang Kaschuba: Je früher der aktive Kontakt zwischen Flüchtlingen und Einheimischen gelingt, umso weniger entstehen wechselseitige Stereotypen und negative Bilder, umso mehr prägen gemeinsame Erfahrungen – wie in vielen „migrationserfahrenen“ Stadtvierteln. Deshalb sollten Flüchtlinge möglichst früh aus den Notunterkünften in normale Wohnungen umziehen können. Nur so können sie auch teilhaben und selbst bürgerschaftlich aktiv werden.
Wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?
Wolfgang Kaschuba: Vieles scheitert nicht an der Bereitschaft der Zivilgesellschaft, sondern an der Stur- und Starrheit verwaltungsmäßiger Abläufe. Die Bezirke müssen stärker moderieren und koordinieren, damit nun nicht auch der gute Wille erstarrt. Wir brauchen mehr Mittel für Hilfskräfte aus der Zivilgesellschaft, die Lotsen-, Paten- und Moderationsfunktionen übernehmen und die dafür eine kleine finanzielle Unterstützung als materielle Hilfe und als symbolische Anerkennung erhalten müssen.
Autor:Stefanie Roloff aus Friedenau |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.