Eine Stunde auf der Oberbaumbrücke: Beobachtungen am Wahrzeichen
Sie ist die einzige direkte Verbindung zwischen Friedrichshain und Kreuzberg. Dazu das bekannteste Bauwerk des Bezirks. Und einer seiner Hotspots.
Letzteres zeigt sich bereits bei nur einer Stunde Aufenthalt auf der Oberbaumbrücke. Und das muss nicht einmal mitten in der Nacht sein. Sondern in diesem Fall am späten Nachmittag.
17 Uhr. Treffpunkt vieler Touristen ist vor allem die Freifläche an der Kreuzung Mühlenstraße. Meistens kommen sie von der nahe gelegenen East Side Gallery. Auch der Spanier, der mit Hilfe einer Landkarte jetzt den Görlitzer Park sucht. Einfach immer geradeaus. Sollte er dort Betäubungsmittel ordern wollen, könnte er sich den Weg sparen. Die sind auch rund um die Brücke erhältlich.
Schüler einer neunten Klasse aus Nordrhein-Westfalen posen für Selfies. Die Oberbaumbrücke dient als Hintergrund, erregt aber keine größere Aufmerksamkeit. Das Aussehen auf den Fotos ist wichtiger. "Ich seh' echt bekackt aus", beschwert sich ein Mädchen.
17.10 Uhr. Der Durchgang unter der Brücke ist beliebter Aufenthaltsort für Punks, Obdachlose, Gruppen, frühe Feierfreudige. Ghettoblaster liefern den Sound. Hunde umkreisen die Szenerie. An einer Stelle gibt es ein größeres Lager mit Matratzen, Kleidungsstücke stapeln sich in einem Einkaufwagen. Kaum jemand nimmt von diesen Camps Notiz. Noch.
17.20 Uhr. Christians schwarz-weißes Kleidung, der Wanderstab und das Bündel unter dem Arm weisen ihn als Handwerker auf der Walz aus. Der 30-jährige Zimmermann stammt aus Plön in Schleswig-Holstein. Drei Jahre und einen Tag muss er sich nach den Walzregeln seiner Zunft von Zuhause fern halten. Zweieinhalb Jahre hat er inzwischen hinter sich. Er war in Australien und Neuseeland, hat in Frankreich, Belgien und Luxemburg, in Köln, Kassel und Freiburg gearbeitet. Jeweils immer zwei bis drei Monate, dann reichte das Geld wieder, um weiterzuziehen. In Berlin will er nur einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Danach geht es in Richtung Schweiz. Die Oberbaumbrücke passiert er auf dem Weg zu seinem Quartier in Friedrichshain. Er erregt Aufmerksamkeit. Ein Rollstuhlfahrer wünscht viel Erfolg. "Bringen Sie Glück?", fragt ein anderer Passant, der ihn anscheinend mit einem Schornsteinfeger verwechselt.
17.30 Uhr. Eher Frust als Glücksgefühle kommt aus dem Inneren mancher Autos. Zur Rushhour staut sich der Verkehr in Richtung Warschauer Brücke über das gesamte Bauwerk. Manche Wagenlenker trommeln deshalb genervt gegen ihr Lenkrad. Andere setzen auf laute Musik als Stressabbau. Techno oder "Billie Jean" von Michael Jackson.
Die Zahl der Radfahrer ist ähnlich hoch wie die der motorisierten Fahrzeuge. Für die Pedaltreter gibt es auf beiden Seiten extra Streifen. Rollt ein größerer Pulk an, kommt es auch hier häufig zu erhöhter Adrenalinabfuhr. "Der Weg gehört dir nicht allein", schnauzt ein Radler einer anderen Zweiradpilotin hinterher. Die hatte sich etwas ungestüm ihre Vorfahrt erkämpft.
17.40 Uhr. Gespannt oder nicht erwartete Zusammentreffen von Menschen gehören ebenfalls zur täglichen Aufführung auf der Oberbaumbrücke. Zwei Frauen, die sich anscheinend seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen haben, fallen sich in die Arme. Jede hat eine Bierflasche in der Hand, deren Inhalte sich nach dem Körperkontakt reduzieren und auf den Boden fallen.
17.50 Uhr. Es tut sich etwas bei einem der wilden Camps. Zwei Securitymitarbeiter sind aufgezogen, was die Gruppe zum Abzug animiert. Brav werden die Habseligkeiten zusammengepackt. Probleme bereitet aber der Abtransport der Matratzen. Eine solche Kontroll- und Sanktionsfunktion steht privaten Sicherheitsunternehmen eigentlich nicht zu, sondern nur Ordnungsamt und Polizei. Die Betroffenen scheinen das aber nicht zu wissen.
18 Uhr. Bei aller Hektik finden sich auf der Oberbaumbrücke aber auch Anzeichen von Idylle. Besonders sichtbar wird das durch die rund 100 Liebesschlösser, die am Geländer festgemacht sind. Lea und Marcel, Berkan und Katharina haben neben vielen anderen hier ihre Verbindung besiegelt. Einige Schlösser sind schon etwas älter, andere stammen aus den vergangenen Monaten. Auch mehr oder weniger romantische Sprüche finden sich auf den Anhängern, Heiratsanträge inklusive. Romantik, die aber von vielen Passanten nicht wahrgenommen wird.
Die Oberbaumbrücke: Ihr heutiges Aussehen bekam die Oberbaumbrücke zwischen 1894 und 1896. Der damalige Bau mit den beiden markanten Türmen ersetzte eine schon seit dem 18. Jahrhundert bestandene Holzbrücke. Im Krieg teilweise zerstört, war das Bauwerk während der Zeit der Teilung ein Teil der Grenzanlage. Es gehörte in seiner gesamten Länge zum damaligen Ost-Berliner Bezirk Friedrichshain. Gleichzeitig gab es dort eine Übergangsstelle für Fußgänger. Nach der Wiedervereinigung wurde die Oberbaumbrücke zwischen 1994 und 1996 saniert. Seit der Bezirksfusion ist sie das Wahrzeichen von Friedrichshain-Kreuzberg.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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