Berechtigte Sorgen oder Besitzstandswahrung?
Nachverdichtung an der Landsberger Allee erhitzt die Gemüter
Am Ende stand die Forderung nach einem "Neustart". So formuliert von Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) vor allem an die Adresse der WBM. Gleichzeitig wurde der Einwohnerantrag gegen die geplante Nachverdichtung an der Landsberger Allee 62-72 mehrheitlich beschlossen.
Dessen Protagonisten, Anwohner der Landsberger Allee 62-72, waren aber auch nach diesem Verlauf in der Sitzung des Stadtplanungsausschusses nicht uneingeschränkt zufrieden. Denn mehrfach wurde ebenfalls betont, dass Neubauten nicht generell verwerflich seien. Das gelte erst recht, wenn sie einen hohen Anteil im preisgünstigen Segment versprechen. Und so bot die gesamte Debatte einmal mehr den klassischen Konflikt: zusätzliche Wohnungen ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür. Wie berechtigt sind manche Sorgen? Oder geht es mehr um den Erhalt des bisherigen Bestandes? Und welche Alternativen gäbe es stattdessen?
Die Ausgangslage: Wie berichtet, plant die kommunale Wohnungsbaugesellschaft WBM in einem Innenhof dieses Gebäudeensembles ein zusätzliches achtgeschossiges Hochhaus mit 32 Wohnungen. Es ist eines von drei Nachverdichtungsvorhaben, die derzeit parallel angeschoben werden. Das zweite befindet sich nicht weit von der Landsberger Allee entfernt, auf dem Grundstück neben der Pintschstraße 9. Auch dort wird ebenfalls ein Einwohnerantrag vorbereitet. Ein weiteres Bauprojekt soll an der Weinstraße realisiert werden. Die Hälfte der neu errichteten Wohnungen würden in der Preisklasse um die 6,50 Euro pro Quadratmeter angeboten, betont die WBM. Für den Block an der Landsberger Allee gelte das sogar für alle Appartements.
Argumente der Anwohner: Die Bürgerinitiative gegen die Nachverdichtung präsentierte ihre Einwände und Befürchtungen sehr professionell in einem Film. Der fasste ihre Hautargumente noch einmal zusammen. Erstens: Die Gegend ist und wird bereits jetzt stark nachverdichtet. Daraus folgt zweitens: unzumutbare Bedingungen für das Klima und die damit verbundenen Lebensumstände. Etwa durch ein Reduzieren von Frischluftschneisen. Hitzestau durch noch mehr Beton. Der Wegfall einer weiteren Grünfläche. Das Abholzen von knapp einem Dutzend Bäume. Vernichtete Lebensgrundlagen für viele Tierarten, vom Rotkehlchen bis zur Fledermaus. Diese und weitere Umweltaspekte bilden auch den Schwerpunkt des Einwohnerantrags. Dazu kämen zusätzlicher Lärm und die Frage nach ausreichender Infrastruktur für weitere Neubürger.
Bestritten wurde nicht, dass es weiteren Wohnungsbau geben müsse. Aber dafür würden sich andere Stellen anbieten. Etwa auf bisherigen Parkplätzen oder über Supermärkten und generell eher in den Außenbezirken. Weniger in der Innenstadt und noch weniger im schon jetzt am dichtesten besiedelten Friedrichshain-Kreuzberg.
Die Probleme der WBM: Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte hat den Großteil ihres Bestands und ihrer Flächen in Mitte und Friedrichshain. Als kommunales Unternehmen ist sie gleichzeitig wichtiger Mitspieler bei der Berliner Neubauoffensive. Die WBM soll bis 2026 rund 10 000 neue Wohnungen errichten, 50 Prozent davon im preisgünstigen Segment. Erreichen lässt sich das wohl nur, wenn auf eigene Grundstücke zurückgegriffen und dort nachverdichtet wird. Deutlich wurde das auch bei Detailfragen zur Landsberger Allee. Warum die WBM dort ausgerechnet in dem noch sehr grünen und baumreichen Innenhof bauen wolle und nicht in einem der beiden weitaus mehr versiegelten Höfe? Die Antwort: "Weil uns diese Fläche vollständig gehört". Bei den anderen Innenbereichen sei das gar nicht beziehungsweise nur teilweise der Fall.
Auch das gemeinsame Forcieren mehrerer Vorhaben sei nicht zuletzt Kostengründen geschuldet. Und weil die Baupreise ohnehin immer weiter nach oben galoppieren, wird ebenfalls auf's Tempo gedrückt. Im kommenden Jahr sollen die Baugenehmigungen vorliegen. Die Gebäude, wenn möglich, 2021 fertig sein.
Wie gut informiert? Die Anwohner sehen sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Im Oktober habe es zwar Veranstaltungen zur Landsberger Allee und zur Pintschstraße gegeben. Aber da sei es nur noch um die Mitgestaltung bei der Freiraumplanung gegangen, wird kritisiert. Die Information, dieser Eindruck drängte sich zumindest auf, scheint auch bei diesen Bauvorhaben nicht optimal verlaufen zu sein und hat den Ärger weiter angefeuert.
Dabei müsste die WBM eigentlich aus Erfahrungen in der Vergangenheit gelernt haben. 2015 hatte sie eine weitreichende Nachverdichtung für Friedrichshain-West angekündigt, ohne dass die meisten Mieter davon wussten. Das Ergebnis war eine massive Protestwelle. Das Vorhaben liegt seit gut zwei Jahren auf Eis. Es soll jetzt im Rahmen eines umfassenden Beteiligungsverfahrens entwickelt werden.
Und was nun? Mehr Mitsprache und Mitnahme verlangt der Stadtrat auch an der Landsberger Allee und der Pintschstraße. Zumindest konkretisierte er seine "Neustart"-Vokabel in diese Richtung. Die Einwände der Betroffenen müssten ernst genommen und darauf eingegangen werden. Auch die Zustimmung zum Einwohnerantrag unterstrich das. Gleichzeitig wurde beton, dass Berlin und auch Friedrichshain-Kreuzberg neue Wohnungen bräuchten. Gerade von kommunalen Unternehmen.
Am vehementesten vertrat Marlene Heihsel (FDP) diese Auffassung, was ihr unter den Anwohnern keine Freunde einbrachte. Anständig wohnen sei natürlich ein Menschenrecht. Aber ebenso, überhaupt die Chance auf eine Wohnung zu haben. Auch Redner anderer Fraktionen argumentierten, wenngleich manchmal etwas dezenter, in diese Richtung. "Viele Bewohner dort müssten eigentlich ebenfalls jemanden kennen, der gerade eine Wohnung sucht", meinte danach ein Bezirksverordneter.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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