Teures Vorkaufsrecht ist wichtiger Grund für Haushaltssperre
Friedrichshain-Kreuzberg. Die Möglichkeit, mit Hilfe des Vorkaufsrechts bei jeder zum Verkauf stehenden Immobilie in einem Milieuschutzgebiet den Erwerb der öffentlichen Hand anzumelden, wird im Bezirk inzwischen häufig angewandt.
Das Ziel: Spekulative Veräußerungen zumindest einzuschränken und Bestandsmieter vor Verdrängung zu schützen. Dabei geht es nicht unbedingt um einen Kauf. Erreicht werden soll vielmehr, dass sich der Eigentümer einer sogenannten Abwendungsvereinbarung unterwirft, bei der er sich bereit erklärt, bestimmte Forderungen des Bezirks zu erfüllen. Etwa den Verzicht auf Luxusmodernisierung und den Erhalt der bisherigen Mieterstruktur.
Das in Friedrichshain-Kreuzberg von einer großen Mehrheit getragenen Vorkaufsrecht-Vorgehen hat aber einige Schattenseiten. Eine, vielleicht die entscheidendste: Es birgt einige finanzielle Risiken. Das ergibt sich aus der Antwort von Finanzstadträtin Clara Herrmann (Bündnis 90/Grüne) auf eine Anfrage des Bezirksverordneten Michael Heihsel (FDP).
Herrmann nannte dabei konkret die Summe von zwei Millionen Euro, die für den Kauf der Wrangelstraße 66 noch ausstehen. Mit weiteren 430 000 Euro ist der Kauf eines Gebäudes an der Glogauer Straße bisher belastet. Unterm Strich sind das knapp 2,5 Millionen Euro und damit rund 40 Prozent der Haushaltsunwägbarkeiten, von derzeit etwa 5,6 Millionen Euro.
Immobilienbranche droht mit Klagen
Auf den ersten Blick scheint das nicht nachvollziehbar, denn eigentlich sollten bei Vorkaufsaktivitäten andere, bevorzugt städtisches Wohnungsbaugesellschaften als Käufer einsteigen. Aber das klappt eben nicht immer sofort, wie bei der Wrangestraße, wo eine solche Übertragung bisher nicht zustande gekommen ist. Außerdem gibt es, Stichwort Glogauer Straße, eine Differenz zwischen dem Verkehrswert und dem Betrag, der für das Grundstück verlangt wird. Dazu kommen weitere Unwägbarkeiten. Etwa mögliche Kosten für Gerichtsverfahren, für die ebenfalls Vorsorge getroffen werden muss, denn die Immobilienbranche läuft Sturm gegen das Vorkaufsrecht und droht mit Klagen.
Dass Finanzstadträtin Clara Hermann die Unwägbarkeiten beim Vorkaufsrecht herausstreicht, sorgt inzwischen für mehr oder weniger lautes Grummeln. Grüne, Linke und SPD, die allesamt zu den Befürwortern dieses Instruments gehören, sehen es als wichtiges, auch politisches Signal, das gerade von Friedrichshain-Kreuzberg ausgeht. Sie verweisen darauf, dass mögliche Belastungen über kurz oder lang ausgeglichen werden. Zumindest ist das die Hoffnung. Schon lange gibt es Forderungen an den Senat, dass der Mittel bereitstellt, um gerade das Einschreiten bei schnellen und zunächst von Dritten ungedeckten Käufen abzufedern. Clara Herrmann macht dagegen deutlich, dass es ihre Aufgabe ist, auf vorhandene Risiken hinzuweisen. Die hält sie, nicht nur wegen der Summen für das Vorkaufsrecht, in der aktuellen Höhe für "bedenklich", denn sie "schränken die Handlungsfähigkeit des Bezirks ein".
Weniger Einnahmen als geplant
Weitere Verlustbringer, beziehungsweise hinter den Erwartungen zurückbleibende Einnahmen, gibt es auch in anderen Bereichen. Wegen weniger erteilter Baugenehmigungen wird aktuell mit einer Deckungslücke von 700 000 Euro gerechnet. Bei den Erlösen aus Grundstücksverkäufen sind es 400 000 Euro. Mehr Personal- und Sachkosten von 200 000 Euro fallen auf Grund von steigenden Schülerzahlen im Schulamt an. Dazu kommen knapp 900 000 Euro für den Wachschutz an der noch immer teilbesetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Das Bezirksamt hat außerdem rund eine Million Euro sogenannter "pauschaler Minderausgaben", also weitere nötige Einsparpotentiale, noch nicht untersetzt. Das alles führte zur derzeitigen Haushaltssperre, die von jeder Abteilung verlangt, fünf, teilweise auch zehn Prozent ihrer Sachausgaben zu reduzieren. Inwieweit die Ämter diesen Vorgaben bisher nachgekommen sind und wie sich die Situation insgesamt darstellt, wird laut Stadträtin Herrmann mit dem Stichtag 30. Juni überprüft.
Hohes Risiko geringer Nutzen
Vor allem die FDP-Gruppe sieht die Risiken durch das Vorkaufsrecht als "unverhältnismäßig" und bezweifelt gleichzeitig dessen Nutzen. "Der geringe Vorteil, die Bewohner von zwei Häusern vor befürchteter (nicht erwiesener) Verdrängung zu schützen, wiegt die Nachteile für den gesamten Bezirk nicht im Geringsten auf", heißt es in einer Mitteilung der liberalen Bezirksverordneten Marlene Heihsel. Sie verweist dabei auf das Schicksal der gemeinnützigen Einrichtung Büchertisch, die Anfang des Jahres ihren Standort am Mehringdamm verlassen und nach Neukölln umziehen musste, weil sie die geforderten Mietsteigerungen nicht mehr bezahlen konnte. In diesem Fall habe es sich um eine Summe von jährlich 40 000 Euro gehandelt. Auch viel Geld, aber verglichen mit dem Millionenbetrag für die Wrangelstraße 66 eher Peanuts, findet Marlene Heihsel. Was der Bezirk allein für dieses Gebäude zur Verfügung gestellt habe, hätte ausgereicht, um mehr als 40 Büchertische zu finanzieren. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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