Die Rechnung ging nicht auf: Warum kam es zum Schulnotstand?
Friedrichshain-Kreuzberg. Die in manchen Gegenden inzwischen katastrophale Situation bei den Schulplätzen sei so nicht vorhersehbar gewesen. Dieses Argument ist selbst heute noch zu hören, auch wenn es bereits in der Vergangenheit immer wieder in Zweifel gezogen wurde.
Richtig ist, dass die heutige Misere mehrere Ursachen hat. Zunächst wurden noch bis vor einigen Jahren in Friedrichshain-Kreuzberg Schulstandorte geschlossen. Die Max-Kreuziger-, die Rosegger-, die inzwischen legendäre Gerhart-Hauptmann-Schule sind dafür nur einige Beispiele.
Die Aufgabe der Standorte hatte zunächst finanzielle Gründe. Weil viele Schulen nicht ausgelastet waren, verursachten sie Defizite in der Kosten- und Leistungsrechnung. Die belasteten den Bezirkshaushalt. Deshalb gab es Vorgaben vom Senat, das Ungleichgewicht abzubauen.
Die lange eher geringe Nachfrage hing mit der Bevölkerungsentwicklung zusammen. Friedrichshain-Kreuzberg war über viele Jahre eher ein Abwanderungs-, als ein Zuwandererbezirk. Das betraf vor allem junge Familien. Aber bereits im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich das mehr und mehr umgekehrt. Erst recht gilt das für die jüngste Vergangenheit. Die Prognosen gingen allerdings selbst in dieser Phase und teilweise bis heute von dem lange bekannten Trend aus. Demnach werde ein nicht geringer Teil der Babys eines Jahrgangs nicht im Bezirk schulpflichtig, denn deren Eltern würden bis dahin wegziehen. Zu wenig berücksichtigt wurde, dass durch neue Wohnungen mehr Familien mit Kindern nach Friedrichshain-Kreuzberg ziehen. Genau diese Situation zeigt sich heute. Wer hier schon länger lebt, verlässt den Bezirk seltener als früher. Schon weil es wegen der hohen Mieten zumindest in der Innenstadt kaum Alternativen gibt. Gleichzeitig kommen viele Neubürger hinzu.
Diese Veränderungen seien vom Schulamt schon früh registriert worden, nimmt der seit vergangenen Dezember amtierende Schulstadtrat Andy Hehmke (SPD) seine Verwaltung in Schutz. Deren relativ realistische Zahlen des künftigen Bedarfs hätten aber andere, sprich niedrigere, Prognosen auf der Landesebene entgegen gestanden.
Es stimmt auch, dass das Schulamt im Sommer 2015 beim Bebauungsplanverfahren zum Carré Sama-Riga eine ablehnende Stellungnahme abgegeben hat. Sie wurde mit sich abzeichnendem Engpass an Schulplätzen durch weiteren Wohnungsbau an der Rigaer Straße begründet. Allerdings, so der Einwand, vor allem aus der Grünen-Fraktion, wirklich Alarm geschlagen hätte das Amt damals nicht.
Inzwischen ist es so, dass künftige Schulraumkapazitäten nicht mehr in Form von statischen Zukunftsprognosen, sondern durch ein sogenanntes Monitoringverfahren erhoben wird. Es beinhaltet neben den bereits geborenen und in einigen Jahren schulpflichtigen Kindern auch eine möglichst passgenaue Vorhersage, mit wie vielen weiteren Schulkindern durch bereits bestehende, sich im Bau befindliche oder geplante Neubauquartiere zu rechnen ist. Möglicherweise bringt das für die Zukunft eine bessere Vorsorge, hilft aber bei den aktuellen Problemen nur bedingt. Zumal selbst dieses verfeinerte Vorhersageinstrumentarium noch immer zumindest fragliche Vorgaben beinhaltet. Bei einer Ausschusssitzung Ende April hieß es zunächst, die Zahl der Neueinschulungen würde, von einigen Quartieren abgesehen, in den kommenden Jahren nicht mehr exorbitant steigen. Nachfragen des Grünen-Bezirksverordneten Dr. Wolfgang Lenk ergaben dann aber, dass die 3433 Neugeborenen des Jahres 2016 in Friedrichshain-Kreuzberg um etwa 1000 über denen der aktuellen ABC-Schützen liegen. Auch hier wurde erneut eine Abwanderung eingerechnet, die in manchen Kiezen noch immer bis zu 20 Prozent eines Jahrgangs betrage.
Ganz darauf scheint sich die Bezirkspolitik aber mittlerweile nicht mehr verlassen zu wollen. Zumindest für den Bereich Kreuzberg gelte inzwischen, dass bei den Planungen für einen künftigen Schulplatz von jedem hier lebenden Kind einer Altersgruppe ausgegangen werde, sagt Stadtrat Hehmke. Dazu kommen Forderungen nach weiteren Schulneubauten. Sie betreffen nicht nur den Vorstoß für einen möglichen Erwerb des Sama-Riga-Grundstücks, sondern auch das Dragonerareal in Kreuzberg. Nachdem dieses Grundstück vom Bund an das Land Berlin übertragen wurde, bestehe dort die Chance, Flächen für einen Schulstandort zu sichern und damit rechtzeitig vorzusorgen, meinte Marlene Heihsel (FDP). Ihre Gruppe brachte diesen Antrag ein, dem die SPD beitrat und der jetzt in den Ausschüssen für Schule und Stadtplanung weiter beraten wird. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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