Anwohner fordern Gedenken an das Durchgangsheim
In dem Heim herrschten menschenunwürdige Zustände, wurden die Insassen psychisch und körperlich drangsaliert, wie einstige Bewohner und ein ehemaliger Erzieher bei einem Symposium Ende Juni berichteten. An diesen Ort der Willkür soll künftig eine Gedenk- und Informationstafel erinnern. Aber solch ein Akt braucht in Friedrichshain-Kreuzberg seine Zeit.
Die Gedenktafelkommission habe sich inzwischen darauf verständigt, voraussichtlich im kommenden Frühjahr ein erstes Erinnerungszeichen anzubringen, wurde in der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses berichtet. Der Text soll beim nächsten Treffen dieses Gremiums im Januar beschlossen werden. Er werde sich an den Fakten orientieren. Geplant sei danach eine weitere Diskussion zur Gestaltung einer umfangreicheren Informationstafel.
Während mehrere Redner im Ausschuss betonten, das sei das normale Vorgehen bei Gedenkmarken im öffentlichen Raum, störten sich einige Anwohner an dem langwierigen Procedere. Seit mehr als zwei Jahren werde über das Thema diskutiert, ohne dass bisher ein konkretes Ergebnis vorliege, meinte Doris Nithammer. "An anderen Stellen, etwa bei Rio Reiser, ging das viel schneller."
Auch die geplante Faktentafel irritierte die Anwohner. Nur ein Hinweis auf das Durchgangsheim, ohne weitere Erklärungen, würde nach ihrer Meinung auf keinen Fall reichen. "Es ging dort um Menschenrechtsverletzungen". Ihnen wurde zugesichert, dass das in der Inschrift deutlich werden soll.
Ende 2011 hatte Doris Nithammer von der früheren Geschichte der Thalia-Grundschule erfahren. Mit anderen Mitgliedern des Bürgerforums Stralau beschäftigte sie sich intensiver mit dieser Vergangenheit. Das mündete in dem Vorschlag, dort eine Gedenktafel anzubringen. Parallel dazu recherchierte der Historiker Detlef Krenz, Mitarbeiter des Friedrichshain-Kreuzberg Museums, zum Stralauer Durchgangsheim.
Weil aber bis heute noch kein Ergebnis vorliegt, hat die Initiative den Eindruck, dass sich die Gedenktafelkommission dem Thema mit eher spitzen Fingern nähert. Laut Protokoll einer Sitzung aus dem Jahr 2012 sei zum Beispiel die Frage gestellt worden, ob es nur darum gehe, die DDR zu diskreditieren, begründet sie ihren Verdacht. Auch werde immer wieder der Vergleich mit den Zuständen in einigen Jugendheimen der alten Bundesrepublik herangezogen. Der führe aber schon deshalb in die Irre, weil die Verhältnisse in Ostdeutschland systemimmanent waren. "Es war das Ziel, Jugendliche im Sinne des Sozialismus zu erziehen." Wer dem nicht entsprach galt als asozial. Und grundsätzlich stehe jetzt dieser Ort und seine traurige Geschichte im Mittelpunkt.
Ähnlich argumentiert der CDU-Bezirksverordnete Timur Husein. Er hatte Anfang 2013 einen Antrag in die BVV eingebracht, der eine Erinnerung an das Durchgangsheim fordert. Was dort stehe, könne eigentlich sofort als Inschrift für die Tafel übernommen werden, findet Husein und wird dabei von der Initiative unterstützt. Denn der Text basiere auf den Erkenntnissen von Detlef Krenz.
Deshalb sei der Antrag ja auch in die Gedenktafelkommission gegangen, meinte Norbert Kliesch (B 90/Grüne). "Wenn das eine Mehrheit nicht gewollt hätte, wäre er sofort abgelehnt worden." Dieses Gremium einzuschalten sei der normale Weg und werde regelmäßig praktiziert. Auch wenn es dann bis zum Ergebnis etwas dauere. "Aber das zeigt nur, dass wir das Anliegen sehr ernst nehmen."
Die Anwohner blieben trotzdem skeptisch. Vor allem verlangen sie ein schnelles Zeichen. Zum einen, weil inzwischen viele neue Bewohner nach Stralau gezogen seien, die über die Vergangenheit der Thalia-Grundschule überhaupt nichts wissen. Außerdem im Interesse der Betroffenen. Denn immer wieder werde der Ort von Menschen besucht, die einst in dem Durchgangsheim leben mussten. Sie finden dort aber keine Erinnerung vor.
Im Antrag von Timur Husein wurde folgender Text für die Gedenktafel an der Thalia-Grundschule formuliert:
In diesem Gebäude war von 1952 bis 1989 das Aufnahme- und Durchgangsheim Alt-Stralau untergebracht. Es war Teil des Erziehungssystems der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Isolationszellen, Essensentzug, Prügel, militärischer Drill und Zwangsarbeit gehörten zum Alltag im Durchgangsheim. Betroffen waren Jugendliche und Kinder, die sich dem Menschenbild der Sozialistischen Einheitspartei - des SED-Staates - nicht anpassen konnten oder wollten. Allein zwischen 1980 und 1983 waren das laut einer Statistik des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 5823 Jugendliche und Kinder.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.