Auf dem Gelände des Frauengefängnisses wird der Hörweg eröffnet
An diesem Tag wird der Hörweg auf dem Gelände des ehemaligen Frauengefängnisses Barnimstraße eröffnet. Die Haftanstalt befand sich zwischen 1864 und 1974 entlang des Karrees zwischen Barnim- und Weinstraße. Frauen in unterschiedlichen politischen Systemen waren dort nicht nur wegen krimineller Vergehen inhaftiert. Schon deshalb steht der Ort für einen besonderen Blick in die Vergangenheit. Er wird durch den Hörweg jetzt erleb- und nachvollziehbar gemacht.
Die Idee, die Gefängnisgeschichte auf diese Weise zu erzählen hatte der Künstler christoph mayer chm. Er ging aus einem 2008 durchgeführten Wettbewerb zur Gestaltung des Areals als Sieger hervor. Am Projekt beteiligt waren neben dem Künstler dann auch Kulturwissenschaftler, Sozialpsychologen oder Autoren. Ein Vermesser begab sich auf Spurensuche. Wie verlief der Grundriss, wer war wo inhaftiert? Ausgehend von dieser Standortbestimmung wurde der Hörweg konzipiert.
Die Besucher bekommen am Eingang einen Kopfhörer, der sie an verschiedene Stellen leitet. Jeder steht für eine Epoche und erzählt die Geschichte einer Gefangenen aus dieser Zeit. Und zwar aus deren Sicht.
Eingeweiht wurde der Bau 1864. Ab 1868 war er ein Frauengefängnis. 137 Plätze gab es zu Beginn, sie wurden durch ein zusätzliches Gebäude, das zwischen 1910 und 1913 entstand, auf 367 erweitert. Angeklagt und verurteilt wurden die Insassinnen häufig wegen Kleinkriminalität, etwa Diebstahl. Unter ihnen befanden sich viele Frauen, die sich prostituierten, zur Kaiserzeit ein strafwürdiges Delikt. Gleiches galt bei Abtreibungen. Das Schicksal einer Frau, die wegen Schwangerschaftsabbruchs in der Barnimstraße landete wird auf dem Hörweg erzählt.
Dazu kamen sehr schnell politische Gefangene. Vor allem in Folge der sogenannten Sozialistengesetze 1878 betraf das viele Aktivistinnen der SPD. Etwa Pauline Stegemann, die Mitbegründerin der ersten sozialdemokratischen Frauenorganisation. Während des Ersten Weltkriegs war zeitweise auch Rosa Luxemburg hier inhaftiert. Den Höhepunkt der Willkürjustiz erlebte das Gefängnis während der Nazizeit. Für zahlreiche Widerstandskämpferinnen war es die letzte Station vor der Hinrichtung. Auch für Hilde Coppi, die ebenso wie ihr Mann Hans Teil des kommunistischen Widerstandes war. Im November 1942 brachte sie in der Barnimstraße ihren Sohn Hans zur Welt. Sie wurde im August 1943 in Plötzensee hingerichtet.
Die Biografiebeispiele fußen auf Originalzitaten sowie weiteren Recherchen. Gesprochen werden sie von Schauspielerinnen. Zum Beispiel von Margarita Broich, der neuen Kommissarin im Frankfurter "Tatort".
Die Ausnahme bildet die DDR-Zeit. Hier kommt mit Inge Stürmer eine Betroffene zu Wort. Wegen versuchter Republikflucht war sie inhaftiert. Die Zeit des SED-Staates markiert gleichzeitig das letzte Kapitel. 1974 wurde der Komplex gesprengt.
Der Gang über das Gelände wird zum Nachdenken anregen, über die Irrwege deutscher Geschichte und des Rechtssystems, den Kampf von Frauen um politische Selbstbestimmung, Mut und Widerstand, über individuelle Kriminalität und staatliche Verbrechen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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