Erkenntnisse aus dem Keller: Kriminaltheater führt „Erbarmen“ auf
Friedrichshain. Die aufstrebende Politikerin Merete Lynggaard ist seit fünf Jahren verschwunden. Nach ergebnisloser Ermittlungen wird der Fall zu den Akten gelegt und die Vermisste für tot erklärt.
Hier setzt die Inszenierung des Berliner Kriminaltheaters von Jussi Adler-Olsens Erfolgsthriller "Erbarmen" ein. Der dänische Autor hat mit diesem Buch 2008 seinen ersten Bestseller gelandet, der inzwischen auch verfilmt wurde. Das Haus in der Palisadenstraße 48 brachte ihn jetzt als Berliner Erstaufführung auf die Bühne. Natürlich geht das nur in gestraffter Form. Die Charaktere müssen sehr schnell präsent, manche Nebenkriegsschauplätze nur angedeutet oder ausgespart werden, damit der zeitliche Rahmen der Aufführung von knapp zwei Stunden nicht gesprengt wird.
Ungeklärte Fälle
Der Kriminalpolizist Carl Morck hat einen Einsatz nach Ansicht seiner Vorgesetzten verbockt und soll sich jetzt als Leiter eines neu eingerichteten Dezernats um ungeklärte Altfälle kümmern. Dass diese Aufgabe nicht als Aufstieg anzusehen ist, zeigt sich bereits an den Kellerräumen, die Morck als Büro zugewiesen werden. Und außer ihm besteht seine Abteilung nur aus dem gebürtigen Syrer Hafez El-Assad. Er hat gerade die Polizeischule beendet und gibt den Part des Energiebündels, der den Chef aus seiner Lethargie reißt.
Wie die beiden zusammenfinden, sich dann eher zufällig mit der längst geschlossenen Akte der fünf Jahre zvor verschwundenen Politikerin beschäftigen und sich mehr und mehr darin verbeißen, korrespondiert in wechselnden Szenen mit dem Schicksal von Merete Lynggaard. Sie lebt noch, allerdings unter qualvollem Umständen in einem Verlies. Jedes Jahr wird dort der Luftdruck erhöht, es ist ein sinnloses Dahinvegetieren. Ihrem Peiniger ging es nie um ein Lösegeld, auch nicht um ihr zumindest schnelles Sterben. Aber was treibt ihn dann?
Bis zum Showdown
Auf die Lösung kommt das gequälte Opfer ebenso nach und nach wie die beiden Ermittler. Die werden auf diesem Weg mit einem Parlamentarier konfrontiert, der einst in die Verschwundene verliebt war. Dazu kommen ein durchtriebener Zeitungsmacher und sein freakiger Fotograf sowie der Leiter einer Klinik, in der der Bruder der Politikerin untergebracht ist. Sie alle sorgen für neue Erkenntnisse, aus denen das Polizistenduo in seinem Keller ein Bild zusammenbaut.
Spannender als diese Spurensuche, die schließlich zum Showdown führt, ist die psychologische Auseinandersetzung zwischen der Gefangenen und ihrem zunächst undurchsichtigen Geiselnehmer. Sie klingt aber nur in wenigen Momenten an. Etwa wenn sich Merete Lynggaard weigert, einem Befehl sofort Folge zu leisten. Auch Szenen, in denen sie durch das Rezititieren von Bibeltexten oder Opernverse eine Art Überlebenstraining absolviert, stehen für den nur teilweise angerissenen Subtext. Nämlich der Frage, was aus einem Menschen wird, der so eine jahrelange Tortur durchleiden muss.
Kristin Schulze in der Rolle der Politikerin nutzt diese Gelegenheiten, um zumindest eine Vorstellung solcher unvorstellbaren Abgründe zu geben. Insgesamt bleibt das aber wohldosiert, wofür schon jeder Szenenwechsel zu den beiden Polizisten sorgt. Denn die agieren eher im Slapstick-Stil und die Verdächtigen und ihre verschiedenen Charaktere dienen ihnen dabei als Stichwortgeber.
Nachtruhe gesichert
In diesem Rahmen machen das alle ziemlich gut. Allen voran Alejandro Ramón Alonso, der den Polizeiassistenten mit Einwandererbiografie gibt. Aber ein Gänsehautgefühl stellt sich beim Publikum nicht ein. Wahrscheinlich war das gar nicht gewollt. Auch nach dem Besuch von "Erbarmen" soll jeder gut schlafen können... tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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