"Hier wird Kühnes gewagt"
Theater "Verlängertes Wohnzimmer" kämpft sich durch die Krise
Wegen Corona droht vor allem kleineren Bühnen das Aus. Oft ehrenamtlich geleitet, fallen sie durch viele Förderungen. Wie das Theater „Verlängertes Wohnzimmer“ an der Frankfurter Allee, das jetzt einen Spendenaufruf gestartet hat.
Die metallene Eingangstür öffnet sich mit leisem Quietschen und der Holzfußboden knarrt, sobald man das Gebäude an der Frankfurter Allee betritt. So begrüßt das Theater „Verlängertes Wohnzimmer“ jeden seiner Gäste. Egal, ob Jung oder Alt. Hier wird Theater für jedermann gemacht. Auf dem Spielplan stehen Dramen und Tragödien, musikalische Krimikomödien, Improvisationen und szenische Lesungen. „Auch Gastspieler dürfen unsere Bühne nutzen“, sagt Regisseurin Lena Liedtke. „Und einmal im Monat laden wir zum offenen Wohnzimmer und zum Barquiz ein.“ Denn hier soll sich jeder wie zuhause fühlen.
Dazu gehört auch die entspannte Atmosphäre. Das Theater hat einen kleinen, familiären Saal mit 60 Plätzen. Die Stühle sind locker verteilt, selbst in der letzten Reihe sitzt man noch relativ nah am Geschehen. Und eine vorgeschriebene Kleiderordnung gibt es auch nicht.
Was das kleine Spielhaus jedoch so besonders macht, ist nicht nur sein Charme. „Hier treffen sich viele Theaterschaffende, Experimentierfreudige und Künstler aller Couleur“, erklärt Lena Liedtke die Philosophie des Kiez-Theaters. „Es wird sich ausprobiert und Geschichten erzählt, Kühnes wird gewagt, Illusionen erzeugt und Aufregendes gespielt.“ Hinzu kommt, dass das Theater rein ehrenamtlich geführt wird. Weshalb es kein festes Theaterensemble gibt. Für jede Produktion werden neue Schauspieler gecastet, Techniker und Bühnenbildner gesucht. Das alles organisiert der Verein „Verlängertes Wohnzimmer“, der den Off-Theaterbetrieb seit Ende Juni 2000 managt. Lena Liedtke gehört mit Nikola Hecker und Robert Walter zum Vorstand. 31 Mitglieder zählt der Verein. „Das sind alles Menschen, die mit Leidenschaft freies Theater machen, von der Kunst aber nicht leben,“ sagt Liedtke. Sie selbst hat Literaturwissenschaften studiert und arbeitet hauptberuflich als Medienredakteurin. Zum Verein „Verlängertes Wohnzimmer“ kam die 27-Jährige vor zwei Jahren. Aus Lust am Kreativsein. Seitdem führt sie Regie und schreibt die Texte.
"Wir fallen durch viele Förderungen durch"
Doch wegen Corona ruht der Betrieb nun schon seit Monaten. Zuletzt feierte das Theater mit „Amphitryon“ nach Kleist Premiere. Kurz vor dem ersten Lockdown. „Sechs Monate haben wir an dem Stück gearbeitet“, sagt Liedtke, „und konnten damit nur zwei Mal auftreten. Dafür aber vor ausverkauftem Haus.“ Nun, mit dem zweiten Lockdown, wird die Lage immer ernster. Die Corona-Soforthilfe zu Beginn der Pandemie ist aufgebraucht. Für die Miete und Betriebskosten, die trotzdem gezahlt werden müssen. Das sind im Monat etwa 1500 Euro. Eine Mietminderung hat der Verein beim Hauseigentümer angefragt, die Zusage steht noch aus. Und ob die beantragte Corona-Novemberhilfe kommt, ist nicht sicher. „Weil wir ehrenamtlich arbeiten und somit kein festes Personal haben, fallen wir durch viele Förderungen durch“, bedauert Lena Liedtke.
Der Verein hat darum einen Spendenaufruf gestartet, um so wenigstens ein paar Euro zusammenzubekommen. 400 Euro sind es schon. „Doch das reicht leider nicht.“ Der Verein wisse zwar, sagt Liedtke, dass derzeit viele Künstler Hilfe suchen. „Aber es wäre doch schade, wenn unser Theater aus dem Kiez verschwindet. Gerade die kleinen Spielstätten machen die Berliner Kulturszene doch so bunt.“ Außerdem hat das „Verlängerte Wohnzimmer“ als Kulturort eine lange Tradition.
Mehr als 100 Jahre Kulturtradition
Zwischen 1911 und 1965 ist es die Heimat eines Kammer-Lichtspiels. Weil der Raum nur vier Meter breit ist, nennen die Berliner das Kino „Schmales Handtuch“. 1967 zieht die Studiobühne Friedrichshain ein und bleibt als kommunal gefördertes Theater bis1992. Danach wird das Theater wieder in „Schmales Handtuch“ umbenannt. Fortan gibt es Kabarett, Solo-Programme und Comedy-Shows. Ehemalige DDR-Stars wie Edgar „Eddi“ Külow, Hanna Donner, Heinz Draehn (Kuddeldaddeldu) oder Alfred Müller stehen dort nach der Wende auf der Bühne. 1998 wechselt das „Schmale Handtuch“ in die Friedrichshainer Marchlewskistraße, und Patrizio Soto übernimmt die Räumlichkeiten für sein „Chapeau Varieté“. Sechs Jahre später geht das Theater an Roland Wandel. Nun erhält es den Namen, den es noch heute führt: „Theater Verlängertes Wohnzimmer“. Roland Wandel (Leitung) und Ralf Jerominski betreiben das Haus wieder als Proben- und Veranstaltungsort. Auch Freunde des Off-Theaters nutzen es als Künstlertreffpunkt und Wohnzimmer. Ende Juni 2010 gründet sich dann der Verein „Theater Verlängertes Wohnzimmer“ (TVW) und gibt dem Theater die nötige Rechtsform.
Wann sich an der Frankfurter Allee 91 der rote Vorhang wieder hebt, weiß Lena Liedtke heute noch nicht zu sagen. Auf jeden Fall geht es nach dem Lockdown mit einem lustigen Stück weiter. „Jetzt wird es richtig paradiesisch“ erzählt von Adam und Eva, die aus dem Paradies geworfen werden und sich über das Mietengesetz zurückklagen wollen. Von solch einem Szenario bleibt das „Verlängerte Wohnzimmer“ hoffentlich verschont.
Wer dem Theater-Team helfen will, findet das Spendenkonto unter www.theater-verlaengertes-wohnzimmer.de.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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