Dank an den "Irren vom Bosporus": Der Auftritt von Kanzlerkandidat Somuncu und seines Kabinetts
Friedrichshain-Kreuzberg. Der Kandidat betitelt seinen Wahlkreis durchgehend auf eigene Weise. Das klingt dann ungefähr so: Kreuzberg, Friedrichsnochmalwas und Charlottesville.
Natürlich ist davon auszugehen, dass Serdar Somuncu die korrekte Bezeichnung Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost schon mal gehört hat. Aber sein Desinteresse an der richtigen Namensgebung ist ebenso Programm, wie sein Hinweis, er werde nicht im Straßenwahlkampf "um Stimmen betteln. Die Leute kennen mich".
Das erinnert an Angela Merkel ("Sie kennen mich") – und auf deren Job hat es Serdar Somuncu ja auch abgesehen. Der je nach Sichtweise aus Funk und TV bekannte Satiriker, Comedian oder verbaler Geschmacksgrenzenaustester tritt als Kanzlerkandidat, beziehungsweise nach deren Schreibweise Kancler-Kandidat, der Partei "die Partei" bei der Bundestagswahl am 24. September an. "In Zeiten vermehrter Spannungen mit Herrn Erdogan wollten wir einen Türken an der Spitze haben", begründete der Partei-Bundesvorsitzende Martin Sonneborn ("Größter Vorsitzender aller Zeiten") die Kür. Serdar Somuncu sei der einzige gewesen, der sich auf dieses Profil beworben habe.
Wer es noch nicht weiß, "die Partei" ist eine Spaßtruppe, die von dem ebenfalls in Sachen Satire verorteten Sonneborn gegründet wurde und ihm inzwischen den Job eines Europaparlamentariers einbrachte. In Friedrichshain-Kreuzberg liegt eine, vielleicht die, bundesweite Hochburg. Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) 2016 erreichte sie 4,6 Prozent und zog mit zunächst zwei Verordneten in die BVV. Ihnen schlossen sich die beiden ehemaligen Piraten an, was zur Verdopplung der Mandate und einem Fraktionsstatus führte. Bei aller Ignoranz ist es deshalb kein Zufall, wenn der Kanzlerkandidat dort zum Sprung an die Macht ansetzt. Und natürlich fand in seinem Wahlkreis auch die Präsentation des demnächst Regierungschefs vor der versammelten Weltpresse statt. Ganz genau in einem überraschend großen Erdgeschossschlauch an der Admiralstraße, bisher als Heimstatt der kommunistischen Splitterformation KPD/RZ bekannt.
Serdar Somuncu wurde außer vom Parteivorsitzenden von einigen Mitgliedern seines Schattenkabinetts begleitet. Etwa Dr. Mark Benecke, bekannt als Kriminalbiologe "Dr. Made", der sich künftig als Minister um Tattoos, Verwesung und Rentner kümmern soll. Aufgabenbereich der blonden Natascha werden die Beziehungen zu Osteuropa sein. Einige weitere vorgesehene Regierungsmitglieder fehlten allerdings, so Bela B. von den "Ärzten", der, klar, als Gesundheitsminister vorgesehen ist. Oder Dr. Jürgen Kuttner, Inventar der Volks- und anderer Berliner Bühnen. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz sowie weitere Rosa-Luxemburg-Angelegenheiten werden seine Kernkompetenz.
Und es gibt natürlich ein Regierungsprogramm, aus dem nur einige Punkte genannt werden sollen. Es schreibt unter anderem die Diskriminierung jeder Minderheit fest. Für Frauen zwischen 18 und 25 gilt ein Nacktzwang, der bei Körbchengröße B auf 30 Jahre ausgeweitet werden kann. Und beim Thema Gerechtigkeit werde "doppelt so viel von dem nicht eingehalten, was die SPD verspricht." Außerdem sollen nach den Erfahrungen mancher Wahlausgänge, Stichwort Brexit, die Hürden für die Stimmabgabe erhöht werden. Ein Kreuz wird nur als gültig gewertet, wenn der Wähler zuvor mindestens eine aus drei gestellten Fragen richtig beantwortet hat. Die hätten in etwa den Schwierigkeitsgrad von "Wie heißt die Hauptstadt von Paris?", erläuterte Martin Sonneborn. Dass dadurch demokratische Rechte reduziert werden, können die Partei-Oberen nicht erkennen. Es gebe auch dann in Deutschland noch immer mehr Demokratie, als beispielsweise in der Schweiz. Von der Türkei ganz zu schweigen.
Apropos. Auch wenn Erdogan bei ihnen den Titel "Der Irre vom Bosporus" trägt, sind ihm Somuncu und seine Mitstreiter in einem Punkt zu Dank verpflichtet. Seine Ansage an Deutschtürken, bei der Bundestagswahl weder für die CDU/CSU noch für SPD und Grüne zu stimmen, fand ihren Beifall. Leider habe er vergessen, auch alle anderen Parteien, außer natürlich "die Partei", in seinen Boykott mit einzubeziehen.
Wir werden uns also auf einige Veränderungen einstellen müssen, wenn demnächst Serdar Somuncu und sein Kabinett regieren. Darauf verwies der künftige Kanzler am Schluss noch einmal eindringlich. Seine Performance sei nicht als Satire zu sehen, mahnte er die Medienvertreter, erst recht nicht im Vergleich zu jedem Auftritt von Donald Trump. Wer seine Vorstellung trotzdem als reine Spaßveranstaltung werte, werde bald sehen, welche Konsequenzen das mit sich bringe. "Wir kennen eure Namen und merken uns eure Gesichter." tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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