Erfolgreiche Einwanderer dank des Großen Kurfürsten
Friedrichshain-Kreuzberg. Als Flüchtling kam David Bouché wahrscheinlich 1699 nach Berlin. Bei seinem Tod 1727 war er der Gründer einer später bekannten Gärtnerei sowie Ahnherr einer Dynastie aus der Pflanzenzüchter, Gartenexperten und Wissenschaftler hervorgegangen sind.
David Bouché ist das frühe Beispiel einer erfolgreichen Einwanderergeschichte. Gleiches gilt für Raphael Mathieu und seine Nachfahren. Die Mathieus bauten bis dahin unbekannte Blumen, Obst- und Gemüsesorten wie Spargel, Quitten oder Feigen in Berlin an und gelten als Betreiber des ersten Samengeschäfts in Deutschland. Ihre Ländereien befanden sich in Kreuzberg, die der Bouchés in Friedrichshain.
Mit ihnen und vielen anderen Geflüchteten begann vor mehr als 300 Jahren nicht nur der bis heute anhaltende Zustrom von Zuwanderern in den heutigen Bezirk, sondern auch dessen erste großflächige Besiedlung.
Bei den Bouchés und den Mathieus handelte es sich um aus Frankreich vertriebene protestantische Glaubensflüchtlinge, den Hugenotten. Sie waren ab 1685 durch die Aufhebung des sogenannten Toleranzedikts von Nantes gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Nach heutigen Schätzungen sind rund 150 000 Hugenotten in den Jahren danach geflohen. Etwa 20 000 folgten dem Ruf des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I., schon zu Lebzeiten der "Große Kurfürst" genannt, und ließen sich in dessen Herrschaftsgebiet nieder.
Der Kurfürst hatte im Edikt von Potsdam vom Oktober 1685 offensiv um die Neubürger geworben. Unter anderem versprach er ihnen eine langjährige Steuerbefreiung sowie die Zuteilung von Land. Auch das Abhalten von Gottesdiensten in ihrer Sprache und sogar eine eigene Gerichtsbarkeit sicherte er zu.
Angst vor Zuzug
Das sorgte nicht nur in Berlin für einigen Ärger. Die Residenzstadt hatte zu dieser Zeit ungefähr 20 000 Einwohner. Bald kamen etwa 5000 Neubürger hinzu, was schon damals für Ängste vor einer Überfremdung sorgte. "Paddenfresser", deutsch Froschfresser, war eine der gängigen Beschimpfungen für die Franzosen. Der Herrscher verlangte dagegen, dass den Flüchtlingen nicht "Übel, Unrecht und Verdruss", sondern "Hilfe, Freundschaft, Liebe und Gutes" erwiesen werde. Eine Art "Wir schaffen das" im Zeitalter des Absolutismus.
Friedrich Wilhelms Willkommenskultur entsprang aber nicht nur Menschenfreundlichkeit, sondern auch knallhartem Kalkül. Brandenburg-Preußen hatte noch immer unter den Folgen des 1648 beendeten 30-jährigen Kriegs zu leiden. Weite Gebiete waren entvölkert. Ein wirtschaftlicher Aufstieg war so kaum möglich.
Ändern ließe sich das höchstens durch eine massive Zuwanderung. Und den Hugenotten ging der Ruf voraus, nicht nur sehr arbeitsam, sondern auch besonders innovativ zu sein.
Viele von ihnen siedelten sich außerhalb des damaligen Stadtgebiets an. Zur noch kaum bewohnten Peripherie gehörte auch die Stralauer Vorstadt in Friedrichshain oder der Bereich rund um die heutige westliche Oranienstraße, die ab 1709 zunächst "Orangenstraße" genannt wurde. Der ursprüngliche Name stammt wahrscheinlich entweder von den dort schon früh in Gewächshäusern gezüchteten Orangen oder von der französischen Stadt Orange, aus der viele Hugenotten nach Berlin geflohen waren.
In dieser Gegend befand sich auch der später auf mehr als 14 Morgen angewachsene Besitz der Familie Mathieu. Ein Morgen entsprach im damaligen Preußen etwa 2500 Quadratmeter. 1849 wurde eine Straße über ihr Territorium "Mathieustraße" benannt. Sie verlief zwischen der heutigen Lobeckstraße (damals Brandenburgstraße) und der Alexandrinenstraße und existierte bis 1973. Konkreter Namensgeber war Charles Louis Mathieu (1800-1885), Großgärtner und Kommunalpolitiker. Beides zeigt, wie sehr sich die Familie inzwischen in Berlin etabliert hatte.
Erfolgreicher Aufstieg
Ähnlich verlief der Aufstieg der Bouchés in Friedrichshain. Flüchtling David Bouché kaufte 1704 mit Hilfe anderer Hugenotten für 1200 Taler ein vier Morgen großes Grundstück an der Lehmgasse. Er baute dort vor allem Obst und Gemüse an. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Pierre David Bouché (1703-1784) den Garten und erweiterte ihn um weitere drei Morgen. Mit ihm begann eine intensive Blumenzucht, die während der Zeit seines Sohns und Nachfolgers Jean David Bouché (1747-1819) zu voller Blüte kam. Viele Pflanzen, die er züchtete, waren zuvor in Berlin kein Begriff. Etwa die später sehr beliebten Hortensien. Auch darüber hinaus war Jean David Bouché geschäftstüchtig. In seinen Gewächshäusern schenkte er Kaffee aus, was ebenfalls viele Besucher anlockte. Unter ihnen waren auch die preußischen Könige.
Das Wirken dieses Bouché und auch seines Sohns Peter Friedrich Bouché (1783-1856) fand 1816 ebenfalls Ausdruck in einer Straßenumbenennung. Aus der Lehmgasse wurde die Blumenstraße. So heißt sie bis heute.
Auch auf andere Weise sind viele Mitglieder der inzwischen weit verzweigten Familie diesem Metier treu geblieben. Etwa Carl David Bouché (1809-1881), der 1844 Königlicher Garteninspekteur wurde. Oder Johann Carl Friedrich Bouché (1850-1933). Er ging 1873 nach Dresden und wurde dort später zum Königlichen Obergartendirektor ernannt. Und ebenso wie bei den Mathieus gehörten auch Vertreter der Familie Bouché zur Berliner Stadtverordnetenversammlung.
Ihre Geschichte hat in den vergangenen Jahren vor allem Detlef Tobian recherchiert. Angeregt dazu wurde der Lehrer während seiner Zeit an der Bouché-Grundschule in Treptow. Er hat inzwischen einige Ergebnisse veröffentlicht und arbeitet jetzt an einem Buch.
Seit 1685 hat es viele Immigrantenströme nach Friedrichshain-Kreuzberg gegeben. Nicht allen gelang so ein Aufstieg wie den Bouchés oder den Mathieus. Und nicht nur deren Familienmitglieder haben sich später auch in anderen Orten niedergelassen. Aber sie und andere prägten als erste das Bild einer Gegend, deren Einwohner seither vor allem Einwanderer sind. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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