Geschichtsstunde zur Eisernen Hochzeit
Friedrichshain. Die Wohnung von Waltraud (87) und Norbert Jaeschke (89) ist voll mit Fundstücken aus aller Welt. Bilder eines dänischen Malers, orientalische Stickereien, eine Wasserpfeife. Dazu Fotos, die Staatsoberhäupter zeigen, manchmal zusammen mit dem Hausherrn.
Norbert Jaeschke war bis zur Wiedervereinigung Diplomat in den Diensten der DDR. Zuletzt wirkte er in Ankara. Weil er dort die ostdeutsche Vertretung auflöste, darf er sich Botschafter a.D. nennen. Am 24. Februar war das Ehepaar 65 Jahre verheiratet und feierte seine Eiserne Hochzeit. "Wobei für uns der 22. Juni immer wichtiger war", sagt Waltraud Jaeschke. "An diesem Tag haben wir uns 1946 kennen gelernt". Im Sommer liegt die erste Begegnung 70 Jahre zurück.
Ein Mann, der den SED-Staat in vielen Ländern repräsentierte, regt zu Fragen an. Und der einstige Diplomat lässt sich darauf ein: Norbert Jaeschke ist Sohn eines Eisenbahnbeamten und machte zunächst eine Schlosserlehre. Seine Frau lernte er in der Nähe von Gera kennen. Waltraud stammt aus einer Arbeiterfamilie, war Handelskauffrau. Der Ehemann hat den zweiten Weltkrieg noch als Mitglied der sogenannten "Flakhelfergeneration" erlebt. Nach 1945 bekam er die Möglichkeit, Jura zu studieren. Die Schrecken des Krieges für die Zukunft zu verhindern, sei ein entscheidender Antrieb für seinen Berufswunsch im Auswärtigen Dienst gewesen, sagt Jaeschke. Dass er in der DDR dazu die Chance bekam, scheint das Fundament für seine Loyalität gewesen zu sein.
Zunächst sei es darum gegangen, sich gegen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik international zu positionieren, etwa in Birma. Dann folgten Aufenthalte unter anderem im Irak, Dänemark und Türkei. "Dort habe ich die Botschaft eröffnet und geschlossen." Mit jedem Land verbinden sich Geschichten. Zu westdeutschen Kollegen habe zunächst so gut wie kein Kontakt existiert. Erst später sei das anders geworden und das Verhältnis am Ende sogar sehr gut gewesen. Gerade in den Wendemonaten.
Spätestens jetzt geht es darum, wie er das Land von außen gesehen hat? Hat er dort die Defizite besser erkannt? Statt einer Antwort lächelt Norbert Jaeschke vielsagend. Konkret erzählt er über die Zeit ab dem Spätsommer 1989. Dass sich etwas verändere sei zunächst an den ausgebliebenen Direktiven abzulesen gewesen.
Während der Ehemann über diese Zeit eher rational referiert, reagiert seine Frau angefasster. Die DDR sei "ihr Staat" gewesen, sagt Waltraud Jaeschke. Das begründet sie mit Beispielen aus ihrem nicht alltäglichen Leben. Bei der Rückkehr gab es immer die Friedrichshainer Hochhauswohnung, in der sie als Erstbewohner eingezogen und bis heute zu Hause seien. Botschaftsangehörige anderer Staaten hätten eine solche Bleibe in der Heimat meist nicht vorgefunden, habe sie aus vielen Gesprächen erfahren.
Häufige Ortswechsel bedeuten oft Belastungen für die Kinder. Die Jaeschkes haben eine Tochter und einen Sohn, inzwischen auch jeweils drei Enkel und Urenkel. Das Mädchen und der Junge waren teilweise mit im Ausland, teilweise gingen sie in ein für den Diplomatennachwuchs eingerichtetes Internat in Königs Wusterhausen.
Waltraud Jaeschke vermittelt den Eindruck, dass sie weitaus mehr war, als nur die Frau des Botschafters. Auch wenn sie ihre Rolle auf der diplomatischen Bühne genau kannte. "Nur einmal bin ich die Nummer eins gewesen". Während der Zeit in Dänemark taufte sie die Fähre "Sassnitz", die danach zwischen ihrem Gastgeberland und der DDR verkehrte. Die Anmerkung, dass in Warnemünde wahrscheinlich nur ausgewählte Passagiere hätten an Bord gehen können, verhallt im Raum.
Längst sprengt der Besuch den vorgesehenen Zeitrahmen. Auch Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke), der die Glückwünsche des Bezirks übermittelte, bleibt mehr als zwei Stunden, was seinen weiteren Tagesablauf wahrscheinlich ebenfalls ins Rutschen brachte. Wir werden Zeugen einer besonderen Lebensgeschichte, zu der viele Klischees nicht passen. Zu beobachten ist DDR-Nostalgie, gepaart mit Weltläufigkeit. Die berufliche Biografie scheint dem Ehepaar bis heute Antrieb zu geben. Sie sorgte für einen Blickwinkel, der sie auf manches großzügiger, auf anderes eher mit Unverständnis reagieren ließ.
Die Jaeschkes vermitteln gleichzeitig das Gefühl, dass sie nicht aus der Zeit gefallen sind. Das vereinte Deutschland sei jetzt auch ihr Land, lassen sie durchblicken. Aber gerade in ihrer Generation gebe es eben noch manche mentale Unterschiede. Und als Ausdruck von Offenheit will Waltraud Jaeschke wohl auch diesen Satz verstanden wissen. "Unsere Schwiegertochter kommt aus West-Berlin." tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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