Geschichtsstunde zur Eisernen Hochzeit

Das Ehepaar Jaechke an seinen Eisernen Hochzeitstag. | Foto: Thomas Frey
3Bilder
  • Das Ehepaar Jaechke an seinen Eisernen Hochzeitstag.
  • Foto: Thomas Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Friedrichshain. Die Wohnung von Waltraud (87) und Norbert Jaeschke (89) ist voll mit Fundstücken aus aller Welt. Bilder eines dänischen Malers, orientalische Stickereien, eine Wasserpfeife. Dazu Fotos, die Staatsoberhäupter zeigen, manchmal zusammen mit dem Hausherrn.

Norbert Jaeschke war bis zur Wiedervereinigung Diplomat in den Diensten der DDR. Zuletzt wirkte er in Ankara. Weil er dort die ostdeutsche Vertretung auflöste, darf er sich Botschafter a.D. nennen. Am 24. Februar war das Ehepaar 65 Jahre verheiratet und feierte seine Eiserne Hochzeit. "Wobei für uns der 22. Juni immer wichtiger war", sagt Waltraud Jaeschke. "An diesem Tag haben wir uns 1946 kennen gelernt". Im Sommer liegt die erste Begegnung 70 Jahre zurück.

Ein Mann, der den SED-Staat in vielen Ländern repräsentierte, regt zu Fragen an. Und der einstige Diplomat lässt sich darauf ein: Norbert Jaeschke ist Sohn eines Eisenbahnbeamten und machte zunächst eine Schlosserlehre. Seine Frau lernte er in der Nähe von Gera kennen. Waltraud stammt aus einer Arbeiterfamilie, war Handelskauffrau. Der Ehemann hat den zweiten Weltkrieg noch als Mitglied der sogenannten "Flakhelfergeneration" erlebt. Nach 1945 bekam er die Möglichkeit, Jura zu studieren. Die Schrecken des Krieges für die Zukunft zu verhindern, sei ein entscheidender Antrieb für seinen Berufswunsch im Auswärtigen Dienst gewesen, sagt Jaeschke. Dass er in der DDR dazu die Chance bekam, scheint das Fundament für seine Loyalität gewesen zu sein.

Zunächst sei es darum gegangen, sich gegen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik international zu positionieren, etwa in Birma. Dann folgten Aufenthalte unter anderem im Irak, Dänemark und Türkei. "Dort habe ich die Botschaft eröffnet und geschlossen." Mit jedem Land verbinden sich Geschichten. Zu westdeutschen Kollegen habe zunächst so gut wie kein Kontakt existiert. Erst später sei das anders geworden und das Verhältnis am Ende sogar sehr gut gewesen. Gerade in den Wendemonaten.

Spätestens jetzt geht es darum, wie er das Land von außen gesehen hat? Hat er dort die Defizite besser erkannt? Statt einer Antwort lächelt Norbert Jaeschke vielsagend. Konkret erzählt er über die Zeit ab dem Spätsommer 1989. Dass sich etwas verändere sei zunächst an den ausgebliebenen Direktiven abzulesen gewesen.

Während der Ehemann über diese Zeit eher rational referiert, reagiert seine Frau angefasster. Die DDR sei "ihr Staat" gewesen, sagt Waltraud Jaeschke. Das begründet sie mit Beispielen aus ihrem nicht alltäglichen Leben. Bei der Rückkehr gab es immer die Friedrichshainer Hochhauswohnung, in der sie als Erstbewohner eingezogen und bis heute zu Hause seien. Botschaftsangehörige anderer Staaten hätten eine solche Bleibe in der Heimat meist nicht vorgefunden, habe sie aus vielen Gesprächen erfahren.

Häufige Ortswechsel bedeuten oft Belastungen für die Kinder. Die Jaeschkes haben eine Tochter und einen Sohn, inzwischen auch jeweils drei Enkel und Urenkel. Das Mädchen und der Junge waren teilweise mit im Ausland, teilweise gingen sie in ein für den Diplomatennachwuchs eingerichtetes Internat in Königs Wusterhausen.

Waltraud Jaeschke vermittelt den Eindruck, dass sie weitaus mehr war, als nur die Frau des Botschafters. Auch wenn sie ihre Rolle auf der diplomatischen Bühne genau kannte. "Nur einmal bin ich die Nummer eins gewesen". Während der Zeit in Dänemark taufte sie die Fähre "Sassnitz", die danach zwischen ihrem Gastgeberland und der DDR verkehrte. Die Anmerkung, dass in Warnemünde wahrscheinlich nur ausgewählte Passagiere hätten an Bord gehen können, verhallt im Raum.

Längst sprengt der Besuch den vorgesehenen Zeitrahmen. Auch Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke), der die Glückwünsche des Bezirks übermittelte, bleibt mehr als zwei Stunden, was seinen weiteren Tagesablauf wahrscheinlich ebenfalls ins Rutschen brachte. Wir werden Zeugen einer besonderen Lebensgeschichte, zu der viele Klischees nicht passen. Zu beobachten ist DDR-Nostalgie, gepaart mit Weltläufigkeit. Die berufliche Biografie scheint dem Ehepaar bis heute Antrieb zu geben. Sie sorgte für einen Blickwinkel, der sie auf manches großzügiger, auf anderes eher mit Unverständnis reagieren ließ.

Die Jaeschkes vermitteln gleichzeitig das Gefühl, dass sie nicht aus der Zeit gefallen sind. Das vereinte Deutschland sei jetzt auch ihr Land, lassen sie durchblicken. Aber gerade in ihrer Generation gebe es eben noch manche mentale Unterschiede. Und als Ausdruck von Offenheit will Waltraud Jaeschke wohl auch diesen Satz verstanden wissen. "Unsere Schwiegertochter kommt aus West-Berlin." tf

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

52 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Schonende Verfahren für Ihre Rückengesundheit werden am 19. März vorgestellt. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Informationen für Patienten
Minimal-Invasive Wirbelsäulenchirurgie

Leiden Sie unter anhaltenden Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenbeschwerden? Moderne minimal-invasive Operationsverfahren ermöglichen eine schonendere Behandlung mit schnelleren Genesungszeiten. Erfahren Sie mehr über innovative Therapiemöglichkeiten bei unserem Infoabend mit Dr. (Univ. Kermanshah) Kamran Yawari, Teamchefarzt des Caritas Wirbelsäulenzentrums. In seinem Vortrag erläutert er die Vorteile minimal-invasiver Wirbelsäulenchirurgie und zeigt auf, wann und für wen diese Methoden sinnvoll...

  • Reinickendorf
  • 18.02.25
  • 91× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es gibt und wie moderne Behandlungsmöglichkeiten helfen können.  | Foto: pixel-shot.com, Leonid Yastremskiy

Proktologie: Ende gut, alles gut!

Unser Darm ist mit seinen 5 bis 7 Metern Länge ein wahres Wunderwerk unseres Körpers. Doch wenn es am Ende des Darms zu Erkrankungen kommt, kann das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – auch wenn man es nicht sieht. Aus Scham werden diese Probleme oft verschwiegen, dabei gibt es in den meisten Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir laden Sie herzlich zu unserem Informationsabend ein! Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es...

  • Reinickendorf
  • 19.02.25
  • 45× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Patienten fragen
Steine in der Gallenblase – was nun?

Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem. Etwa jede fünfte Person in Europa ist betroffen, und fast die Hälfte entwickelt im Laufe des Lebens Beschwerden. Diese äußern sich meist in Form von wiederkehrenden Schmerzen, insbesondere im rechten Oberbauch. In einigen Fällen können Gallensteine zu ernsthaften Komplikationen wie einer Entzündung der Gallenblase führen. Die bevorzugte Therapie bei Beschwerden ist die operative Entfernung der Gallenblase – in der Regel...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 455× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Informieren Sie sich über Intensivmedizin. | Foto: 2022 Tomasz Kuzminski

Infoabend am 11. Februar
Grenzen und Möglichkeiten der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht und bietet schwerstkranken Patienten Überlebenschancen, die früher undenkbar waren. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hochleistungsmedizin? Welche technischen, personellen und ethischen Herausforderungen gibt es? Besuchen Sie unseren Infoabend mit Priv.-Doz. Dr. Stephan Kurz und erfahren Sie, wie intensivmedizinische Maßnahmen Leben retten, aber auch komplexe Entscheidungen erfordern. Was geschieht, wenn Therapieoptionen ausgeschöpft...

  • Reinickendorf
  • 29.01.25
  • 1.056× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.