Im Namen des Volkes: Warum Sven Tabatt gern Schöffe ist
Für die neue Wahlperiode ab Herbst werden derzeit auch im Bezirk wieder ehrenamtliche Schöffen gesucht. Sven Tabatt (33) aus Friedrichshain amtiert seit 2013 als Laienrichter. Und möchte das auch weiter bleiben.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Tabatt: Durch einen Aufruf, den ich gelesen habe. Es kann sogar in der Berliner Woche gewesen sein. Mich hat die Aufgabe gereizt. Ich wollte mich für die Allgemeinheit engagieren und Schöffe ist ein interessantes Amt.
An welchem Gericht sind Sie eingesetzt?
Tabatt: An zweien. Zum einen am Landgericht Berlin. Außerdem am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.
Dann werden Sie auch mit ganz unterschiedlichen Rechtsauseinandersetzungen konfrontiert...
Tabatt: Stimmt. Am Oberverwaltungsgericht geht es um Streitigkeiten Bürger gegen Bürger oder Bürger gegen Behörden. Und bei dieser Instanz dann konkret um Verfahren, bei denen es bereits eine Entscheidung gegeben hat, die aber überprüft werden muss. Mein Schwerpunkt war dort bisher das Bau- und das Ausländerrecht.
Und beim Landgericht?
Tabatt: Bin ich bei einer Kammer für Strafsachen. Wieder ein ganz anders Feld, auch eine manchmal emotional große Herausforderung.
Wie läuft ihr Einsatz ab?
Tabatt: In den vergangenen knapp fünf Jahren habe ich bei etwa 25 Verfahren mitgewirkt. Rund zehn am Oberverwaltungsgericht, ungefähr 15 beim Landgericht. Das Procedere ist jeweils unterschiedlich. Beim OVG gibt es zu Beginn des Jahres eine Liste, wann man als Schöffe tätig werden soll. Das ändert sich aber oft noch zehn Tage vor dem Termin. Was für die eigene Planung nicht immer so toll ist. Vom Landgericht erhalte ich dagegen etwa fünf Wochen vor einem Prozess die Nachricht, dass ich dort eingesetzt werde. Das finde ich vom Ablauf besser.
Und dann sitzen Sie mit hauptamtlichen Juristen und weiteren Schöffen zu Gericht...
Tabatt: Normalerweise sind wir fünf. Drei Richter, zwei Ehrenamtliche. Beim Verfahren muss dann vieles berücksichtigt werden. Die Rechtssprechung natürlich. Aber auch eigene Einschätzung und Lebenserfahrung sollen mit einfließen. Insgesamt geht es darum, zu einem Spruch im Sinne des Rechtsfriedens zu kommen.
Wie sehr korrespondiert das mit dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden?
Tabatt: Das sollte möglichst ausgeblendet werden. Auch wenn das nicht immer einfach ist. Zum Beispiel bei Vergewaltigungsprozessen, die ich auch schon hatte. Man darf sich dabei nicht von dem Gedanken leiten lasse, was ich machen würde, wenn das einer Frau aus meiner Familie oder Freundeskreis passiert wäre. Sondern muss auch hier offen herangehen. Und möglicherweise etwas berücksichtigen, was zu Gunsten des Angeklagten ausgelegt werden kann.
Wie ernst werden Sie als Schöffe genommen?
Tabatt: Ich hatte nie das Gefühl, dass ich oder andere nur als Beiwerk betrachtet werden. Gerade vor dem Urteil wird der Fall noch einmal auf Augenhöhe diskutiert. Es ist aber auch immer die Frage, wie sehr sich jeder Schöffe engagiert. Manche halten sich eher zurück, ich bringe meist meine Meinung vor. Auch während des Verfahrens, wobei das in der Regel indirekt passiert. Einmal war ich der Ansicht, eine Aussage sollte beeidet werden. Denn so ziemlich jedem war klar, dass sie von A bis Z gelogen war. Ich sagte das dem Richter. Der meinte aber nur, die Unwahrheiten seien auch so erkennbar.
Gab es Fälle, wo Sie ein anderes Urteil gefällt hätten, als das Ausgesprochene?
Tabatt: Das ist ab und zu passiert. Daran schließt sich dann die Frage an, ob man selbst falsch lag? Oder ob die eigenen Argumente nicht stichhaltig genug waren. Beides sorgt für einen Nachdenkprozess.
Würden Sie sagen, unser Rechtssystem funktioniert?
Tabatt: Insgesamt ja. Natürlich mit den Schwächen, die allgemein bekannt sind. Also zu wenig Personal, bei gleichzeitig sehr vielen Verfahren. Was dazu führt, dass manche oft erst sehr lange nach der Tat oder dem Anlass des Rechtsstreits geführt werden.
Wie würden Sie jemandem, der überlegt, sich als Schöffe zu bewerben, das Amt schmackhaft machen?
Tabatt: Dass er dort eine spannende und wichtige Funktion ausübt. Sie stellt einen wichtigen Bestandteil unseres Rechtsstaates dar. Dass Bürger hier mitentscheiden ist gelebte Demokratie. Und ein Schöffe erhält Einblicke in auch nicht immer angenehme Facetten unseres Zusammenlebens, die aber nun einmal vorhanden sind.
Bei welchen Prozessen wären Sie gerne noch dabei?
Tabatt: Grundsätzlich würde ich mir wünschen, künftig mehr in Richtung Sozialrecht eingesetzt zu werden. Da könnte ich Erfahrungen durch meinen Beruf als Sozialarbeiter mitbringen. Natürlich reizt einen auch immer ein großes Verfahren. Zumindest in Ansätzen habe ich das bereits erlebt.
Und irgendeine Auseinandersetzung um den Flughafen BER als Schöffe zu begleiten, hätte ich auch Lust. Da gibt es inzwischen ja so viele, dass sie eine ganze Kammer beschäftigen könnten.
Unter welchen Bedingungen Sie sich als Schöffe in Friedrichshain-Kreuzberg bewerben können, erfahren Sie hier.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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