Was Simon Dach dazu sagen würde: Ein gläubiger Dichter als Namensgeber einer Feiermeile
Der Mann verfasste Verse wie folgende: "Oh wie selig seid ihr doch, ihr Frommen, da ihr durch den Tod zu Gott gekommen! Ihr seid entgangen aller Not, die uns noch hält gefangen."
Sie gehören zu einem Lied mit sechs Strophen, das auch Eingang in manche Kirchengesangbücher fand. Gereimt hat sie der Dichter und Universitätsprofessor Simon Dach (1605-1659).
Mehr als 1200 geistliche und weltliche Gedichte soll er geschrieben haben. Die meisten sind heute vergessen. Zu den Ausnahmen gehört das zitierte Gotteslob sowie das bekannte Volkslied "Ännchen von Tharau", dessen Urfassung "Anke van Tharaw" ebenfalls Simon Dach zugeschrieben wird.
Wer sich heute durch die Simon-Dach-Straße bewegt, hat anderes im Sinn als Zeilen aus der Barockzeit. Dort befindet sich einer der bekanntesten Kneipen-, Feier- und Touristenhotspots in Friedrichshain-Kreuzberg. Sozusagen die Mutter aller Partyzonen im Bezirk. Denn dort begann schon in den 1990er-Jahren, was längst viele Nachbarn um den Schlaf bringt. Und das ausgerechnet im Namen eines Poeten, dem es mehr um Erbauung ging. Warum das so kam, ist wie so oft eine Geschichte von Zufällen und verschiedenen Epochen.
Nach Simon Dach benannt wurde die Straße im Jahr 1902. Sie war Teil des Neubaugebiets rund um den Boxhagener Platz, das in den folgenden Jahren errichtet wurde. Es entstanden mehrstöckige Mietshäuser, inklusive Seitenflügel für häufig wenig solvente Bewohner. Eng und mit wenig Komfort ausgestattet waren meist die Wohnungen. Es ging um möglichst hohen Profit. Arbeiterfamilien oder kleine Handwerksbetriebe dominierten die Gegend.
Einige Straßen im Gebiet erhielten die Namen von Literaten oder bildenden Künstlern. Auch Andreas Gryphius (1616-1664), Dichter und Zeitgenosse von Simon Dach, wurde auf diese Weise verewigt. Oder der Maler Gabriel von Max (1840-1915). Bei ihm passierte das noch zu Lebzeiten.
Die Bevölkerungsstruktur änderte sich wenig während Kaiserreich und Weimarer Republik. In der Nazizeit zeigte sich gerade dort manches Aufbegehren des "roten Friedrichshain". Auch in der DDR blieb das Quartier ein weitgehend geschlossener Kiez. Das änderte sich nach der Wende. Anfang der 1990er-Jahre machte die Simon-Dach-Straße noch den Eindruck von toter Hose. Dort eine Bleibe zu finden, wäre damals kein Problem gewesen. Aber warum in diese gottverlassene Gegend?
Wegzug und wenig Attraktivität war der Hintergrund, als der damalige Bezirk Friedrichshain bei Geschäfts- und speziell Gaststättenansiedlungen großzügig agierte. Hauptsache, es passiert etwas. Die Initialzündung für den heutigen Ruf. Erst als Geheimtipp, dann als Markenzeichen. Die Gegend wurde angesagt, wozu auch Wohnungssanierungen beitrugen. Nach einem Lokal kamen weitere. Den zunächst eher improvisierten Angeboten folgten später durchgestylte Gastronomiebetriebe. Dazwischen inzwischen Spätis, Souvenirläden, Abfüllstationen. War die Simon-Dach-Straße in den Anfangsjahren Anlaufstelle für kiezverortetes Publikum, ist sie jetzt in Hand von Easy-Jettern, Schulklassen und Besuchergruppen, Wochenendhoppern aus London über Ludwigsburg bis Ludwigsfelde.
Versuchtes Befrieden führte zu einem Flickenteppich verschiedener Außenausschankzeiten, die schwer zu kontrollieren sind. Es blieben die anhaltendem Proteste von Anwohnern. Deshalb ist jetzt eine sogenannte Allgemeinverfügung in der Diskussion. Sie soll ein einheitliches Ende des Freiluftbetriebs für alle vorschreiben.
Was Simon Dach zu all dem sagen würde? Sein Werk und seine Biografie lassen darauf schließen, dass er sich weniger abendlichen Gelagen, dafür mehr dem eigenen Fortkommen widmete und dabei erfolgreich war. Er wurde in Memel, heute Klaipeda, in Litauen geboren und studierte in Königsberg, seit 1945 Kaliningrad und Teil Russlands, Philosophie und Theologie. Danach war er ab 1633 Lehrer an der Domschule, sechs Jahre später Professor für Dichtkunst an der Königsberger Universität. Drei Jahre vor seinem Tod wurde er Rektor der Hochschule. Parallel dazu lief seine massenhafte Reimproduktion, die für gut dotierte Nebeneinnahmen sorgte. Die Lyrik entstand meist auf Bestellung zu verschiedenen Anlässen. Um die weitere Verbreitung seine Verse, etwa in einem Buch, hat sich Simon Dach aber nicht gekümmert. Was erhalten geblieben ist, wurde von Weggefährten oder Interessierten gesammelt.
Ganz ungesellig scheint der Mann nicht gewesen zu sein. Immerhin war er ein führender Kopf der sogenannten "Kürbishütte". Der Name stand für eine Versammlung von Königsberger Gelehrten, Literaten und Musikern, die sich in einem von Kürbissen umrankten Gartenhaus trafen. Dort wurde musiziert und es wurden Gedichte vorgetragen. Simon Dach als Mentor eines Dichterkreises fand auch Eingang in die Erzählung "Das Treffen in Telgte" von Günter Grass.
Dach starb "nach schweren Heimsuchungen", so der Wortlaut in einem älteren Gesangbuch. Die Todesursache war Tuberkulose, damals Schwindsucht genannt.
Für die Besucher seiner Straße ist das alles ganz weit weg. Aber möglicherweise wird ihnen im Lauf ihres Lebens einmal wichtig, was der Dichter bereits wusste: "Der Mensch hat nichts zu eigen, so wohl steht ihm nichts an. Als dass er Treu erzeugen und Freundschaft halten kann." Der Namensgeber: Simon Dach.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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