Die Wochen des Infernos: Wie Friedrichshain-Kreuzberg vor 70 Jahren das Kriegsende erlebte
Beschrieben ist diese Szenerie unter dem Datum des 25. April 1945 in dem dokumentarischen Roman "Finale Berlin" von Heinz Rein. Das Buch beschreibt die letzten Kriegswochen in den Straßen am heutigen Ostbahnhof. Nicht nur dort, sondern im gesamten Bezirk gab es vor 70 Jahren heftige Kämpfe mit tausenden Toten. Ganze Stadtviertel wurden zerstört. Sofern sie nicht schon zuvor Opfer der Bombenangriffe geworden waren.
Am 16. April 1945 hatte die Rote Armee von der Oder aus zum Sturm auf Berlin angesetzt. Bereits drei Tage später erreichten erste Verbände die östlichen Vororte. Über die Frankfurter und die Landsberger Allee kämpften sich die sowjetischen Verbände in das Zentrum vor. Ein letztes Aufgebot von Wehrmachtssoldaten, Volkssturmmännern und Halbwüchsigen stellte sich ihnen entgegen.
Nach den Kämpfen in den letzten Apriltagen 1945 waren mehr als die Hälfte der Gebäude in Friedrichshain nicht mehr vorhanden oder nur noch Ruinen. Ähnlich sah es in Kreuzberg aus, wo sich die Rote Armee von Süden her über den Tempelhofer Damm näherte. Tagelang verlief die Frontlinie entlang des Landwehrkanals und quer durch die Friedhöfe am Halleschen Tor.
Wenige hundert Meter davon entfernt - im Bunker unter der Reichskanzlei an der Wilhelmstraße - hatte sich Adolf Hitler mit seinem letzten Aufgebot verschanzt. Manche fanatische Anhänger schenkten seinen Durchhalteparolen noch Glauben und kämpften im wahrsten Sinne des Wortes bis zum letzten Atemzug. Andere versuchten zu desertieren und sich zu verstecken. Wer dabei aufgegriffen wurde, den erwartete auch in den letzten Kriegstagen die sofortige Hinrichtung.
Defätismus und Angst kennzeichnete die Stimmung der Zivilbevölkerung. Die meisten kauerten in Luftschutzkellern, die sie nur zwischen den Feuerpausen kurz verließen, meist um etwas Essbares zu ergattern. Immer wieder kam es auch zu Plünderungen, etwa am Osthafen. Es ging ums nackte Überleben und die Furcht vor einer ungewissen Zukunft.
Aber es gab auch schon damals Menschen, für die das Kriegsende die Befreiung war. Zu ihnen gehörten viele tausend Zwangsarbeiter ebenso wie etwa Marie Jalowicz, später Marie Simon, die als Jüdin ab 1941 in Berlin untergetaucht war. Die letzten beiden Kriegsjahre verbrachte sie vor allem in einem Versteck an der Oberbaumbrücke. "Die Leute sprachen von einem Inferno", schildert sie die letzte Phase der Kämpfe. "Das tat ich selbstverständlich nicht, auch wenn es für mich kein Paradies war. Denn die Vorstellung, jetzt noch durch Kriegshandlungen zugrunde zu gehen, war furchtbar." Und als sie schließlich auf die ersten sowjetischen Soldaten traf, "stand ich zwar formal auf Seiten der Besiegten. Aber gefühlsmäßig auf Seiten der Sieger".
Der Offizier Ludwig von Hammerstein konnte als einer der wenigen Beteiligten des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 untertauchen. Er versteckte sich seither in der Wohnung der Familie Kerp in der Oranienstraße 33. Am 26. April beobachtete er, wie die letzten deutschen Truppen aus der Gegend abzogen. Am Nachmittag erschienen die ersten sowjetischen Infanteristen. Ihnen klar zu machen, dass er kein Faschist, sondern ein Widerstandskämpfer war, war aber nicht ganz einfach. Er habe eine "gefährliche Befreiung" erlebt, resümierte Hammerstein später.
Am 2. Mai kapitulierte Berlin, sechs Tage später war der Zweite Weltkrieg in ganz Europa zu Ende. Nicht zu Ende waren auch danach die Plünderungen und Vergewaltigungen. Tausende gerieten erst jetzt in Kriegsgefangenschaft und verschwanden für Jahre in Lagern. Es brauchte lange Zeit, bis sich allgemein die Erkenntnis durchsetzte, dass die Ursache dieses Leids nicht in den Ereignissen im Frühjahr 1945, sondern im von Deutschland begonnenen Krieg und der Herrschaft der Nazis zu sehen ist.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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