Mehrheitlich nicht auf GroKo-Kurs
Zwischen der SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus an der Stresemannstraße, und dem Haus der Dersim-Kulturgemeinde am Waterloo-Ufer besteht eine Distanz von knapp einem Kilometer. Beide Orte standen am 13. Februar für die derzeitigen Turbulenzen und Auseinandersetzungen der deutschen Sozialdemokratie.
Im Willy-Brandt-Haus versuchte die Partei am Nachmittag, ihre Führungskrise einigermaßen in den Griff zu bekommen. In die Räume von Dersim hatte die Abteilung Luisenstadt der Bezirksgenossen am Abend zu einer Diskussion zum Mitgliederentscheid Pro und Contra Große Koalition eingeladen. Mit Kevin Kühnert als Hauptredner. Der Juso-Vorsitzende trommelt seit Wochen gegen die erneute Regierungsbeteiligung der SPD in einem Bündnis mit CDU und CSU. Am Waterloo-Ufer hatte er ein Heimspiel. Denn die große Mehrheit im mit rund 300 Besuchern überfüllten Saal sah das genauso oder ähnlich.
Sevim Aydin war zunächst vom großen Andrang überrascht. "Ich bin seit 13 Jahren in der Partei, aber so ein Interesse habe ich noch nie erlebt", sagt die Bezirksverordnete und Vorsitzende der Luisenstadt-Sozis. Sie wertete das als Beleg dafür, dass bei den Genossen riesiger Gesprächsbedarf bestehe. Und die Partei zumindest an der Basis noch lebendig sei. Wobei sich neben Alt- und Neumitgliedern auch neugierige Zaungäste im Saal befanden, ebenso wie viele Medienvertreter.
Natürlich waren viele wegen Kevin Kühnert gekommen. Den nach Kreuzberg zu locken, sei relativ einfach gewesen, erzählt, Sevim Aydin. Sie habe ihm eine Mail geschickt und kurz darauf die Zusage erhalten.
Der Kopf der Anti-GroKo-Bewegung lieferte dann auch wie erwartet seine Argumente für ein Nein beim Mitgliedervotum. Er sehe weiter nicht, wie die Partei durch eine weitere Regierungsbeteiligung aus ihrer Talsohle herauskomme. Ja, im Koalitionsvertrag stehe einiges, was für die SPD wichtig wäre. Aber das sei auch bei früheren GroKo-Abmachungen der Fall gewesen, vieles dann aber nicht umgesetzt worden.
Schlecht für die Partei
Mit dieser Einschätzung rannte er weitgehend offene Türen ein. Schon der Berliner Landesverband wird im bundesweiten SPD-Kosmos als eher links verortet. Und dort wiederum gehören die Genossen aus Friedrichshain-Kreuzberg klar zum linken Flügel. Was sich in vielen Redebeiträgen zeigte. Eine Wortmeldung warnte davor, künftig die rigide Flüchtlingspolitik eines "CSU-Heimatministers Seehofer" mittragen zu müssen. Die Koalition wäre vielleicht sogar gut für Deutschland und Europa, aber schlecht für die Partei, so eine andere zugespitzte Aussage.
Es gab aber auch Stimmen, die für den Regierungseintritt warben. Etwa mit dem Verweis, dass bei einem abgelehnten Mitgliederentscheid das schon jetzt vorhandene Chaos an der Parteispitze noch potenziert werde. Der gesamte Vorstand müsste dann zurücktreten.
Kevin Kühnert sah das anders. Wenn die Basis anders entscheide, sei das doch ein Ausdruck des viel beschworenen Erneuerungsprozesses. Niemand müsste deshalb seinen Posten verlieren. Allerdings mache sich nach seiner Ansicht ein Großteil der Führung mit ihrer Alles-oder-Nichts-Haltung das Leben selbst schwer.
Auch Sevim Aydin will mit Nein stimmen und begründet das ähnlich wie der Juso-Vorsitzende. "Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, sagen mir immer wieder Leute, ihr seid von CDU und CSU kaum noch zu unterscheiden." Andere Mandatsträger aus dem Bezirk, wie der Friedrichshainer Abgeordnete Sven Heinemann, haben sich ebenfalls schon auf eine Ablehnung positioniert. Während Sebastian Forck, Fraktionsvorsitzender in der Bezirksverordnetenversammlung, sagt, dass seine Entscheidungsfindung noch nicht abgeschlossen sei.
Als Nebenwirkung der ganzen Debatte verzeichnete auch die SPD im Bezirk in den vergangenen Wochen einen Mitgliederzuwachs. Einige Neu-Genossen outeten sich bei der Veranstaltung. Einer mit dem Zusatz: "Ich habe vor, länger zu bleiben."
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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