Muss Oma um ihre Wohnung fürchten?: Die BVV will Wohnungen für Flüchtlinge beschlagnahmen - das erzeugt Ängste
Friedrichshain-Kreuzberg. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigt wieder einmal Berlin und teilweise sogar die Republik. Grund ist der BVV-Beschluss vom 28. Oktober, der eine Beschlagnahme leer stehender Wohnungen für Flüchtlinge oder Obdachlose fordert. Seither tobt darüber eine Debatte, bei der auch viel durcheinander geht. Deshalb hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
? Was verlangt der Antrag?
Er will, dass Wohnungen beschlagnahmt werden können, die aus Spekulationsgründen lange nicht vermietet wurden. Nur darum gehe es und nicht um Oma ihr klein Häuschen, betont der Grüne Bezirksverordnete Andreas Weeger, der die Vorlage federführend formuliert hat. Spekulativer Leerstand sei in der gesamten Bundesrepublik verboten, was in Berlin außerdem noch durch das Zweckentfremdungsverbotsgesetz unterstrichen werde. Der Antrag greife das nur auf.
? Welche Grundlage gibt es dafür?
Bezug genommen wird auf die Paragrafen 16 und 38 des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (ASOG) in Berlin. Sie erlauben die Beschlagnahme bei einer erheblichen Gefahr massenhafter Obdachlosigkeit. Allerdings gibt es davor einige Hürden. Beschlagnahmt werden dürfen Wohnungen nur dann, wenn eine Kommune nachweisen kann, dass alle Unterbringungsmöglichkeiten in öffentlichen Einrichtungen ausgeschöpft sind. Weeger möchte genau das gerne ändern. „Ich sehe nicht ein, warum erst alle Turnhallen belegt sein müssen, ehe an den spekulativen Leerstand herangegangen wird.“ Auch Flüchtlingsunterkünfte in Flughafenhangars oder gar in Zelten sei vor dem Hintergrund freier Wohnungen nicht nachvollziehbar. Außerdem verweist er darauf, dass in Berlin bereits private Immobilien für die Flüchtlingshilfe requiriert worden seien. Dabei habe es sich aber um Gewerbe- oder Büroflächen gehandelt und das sei im Einvernehmen mit den Besitzern passiert, erklärt die Senatsverwaltung für Soziales. Eine Entschädigung für die Eigentümer sieht auch der Beschlagnahmeantrag vor. Sie sollen eine monatliche Miete bekommen, die sich am Mietspiegel für das betreffende Gebiet orientiert.
? Wie gilt eine nicht genutzte Wohnung als Spekulationsobjekt?
Das zu klären ist die nächste Schwierigkeit. Denn natürlich wird kein Vermieter zugeben, dass er eine Wohnung gerade nicht vergibt, weil er vielleicht ein Haus ohne Bewohner besser verkaufen kann oder auf solvente Bewohner wartet. Also muss der Nachweis erbracht werden, dass solche Gründe vorliegen. Das Wohnungsamt muss kontrollieren, sich an die Eigentümer wenden und so weiter. Das dürfte alles sehr aufwendig werden.
Außerdem ist schwer einzuschätzen, in welcher Größenordnung es solche Objekte gibt. Weeger nannte ein Zahl von rund 5000 und bezog sich dabei auf Angaben des Berliner Mietervereins. Dort könnten nach seiner Rechnung 10 000 bis 15 000 Menschen untergebracht werden. Gemessen an den rund 50 000 Flüchtlingen, die dieses Jahr in Berlin erwartet werden, sei das eine nicht zu vernachlässigende Größe.
? Warum wurde Riehmers Hofgarten als ein Beispiel genannt?
Das Gründerzeitensemble zwischen Yorck- und Hagelberger Straße befindet sich direkt gegenüber dem Rathaus Kreuzberg und fiel deshalb nicht nur dem Grünen besonders ins Auge. Dort sollen derzeit rund 40 Wohnungen nicht genutzt werden. Die Anlage gehört mehreren Eigentümern, von denen einer den Leerstand vor allem mit aktuellen Baumaßnahmen begründete (wir berichteten).
? Welche Chancen hat der Antrag?
Nach derzeitigem Stand wahrscheinlich nur geringe. Auch das Bezirksamt wird wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass die Voraussetzungen dafür zumindest aktuell noch nicht gegeben sind. Erst recht gilt das für den Senat. Schon die Beratung und die Abstimmung in der BVV deutete in diese Richtung. Zwar stimmten außer der CDU alle anderen Fraktion der Vorlage zu. Aber selbst Andreas Weeger sprach in seiner Rede mehrfach davon, dass das Anliegen „geprüft“ werden soll. Die Linkspartei, die dem Antrag ebenso wie die Piraten und die fraktionslose Bezirksverordnete Jessica Zinn beigetreten waren, hätte ihn gerne noch einmal in den Ausschüssen beraten. Dafür fand sich aber keine Mehrheit. Die SPD gab wiederum ihre Zustimmung, obwohl sie anscheinend nur wenig Erfolgsaussichten sieht. Die politische Stoßrichtung sei richtig, aber wahrscheinlich werde es nicht dazu kommen, meinte ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender John Dahl. „Aber wir haben nichts dagegen, wenn sich die Grünen selbst unter Handlungsdruck setzen.“ tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.