"Kiezversammlung" gesprengt
Schwierige Gesprächskultur im Samariterkiez
Nach etwas mehr als einer Stunde wurde die Veranstaltung beendet. Ohne dass das eigentliche Thema überhaupt zur Sprache gekommen war.
Geplant war am 8. Oktober im Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläa-Kirche ein Vortrag mit anschließender Diskussion unter dem Titel "Der Samariterkiez zwischen Bleiben und Verdrängen". Sigmar Gude vom Mieten- und Sozialberatungsträger Asum wollte darüber sprechen. Aber er kam nicht zu Wort.
Die Galiläa-Kirche befindet sich an der Rigaer Straße. Die Straße hat schon lange einen besonderen Nimbus, der auch bei diesem Veranstaltungsversuch einmal mehr deutlich wurde. Denn einer zahlenmäßig anwesenden Mehrheit passte der gesamte Ablauf nicht, und sie sorgte dafür, dass er nicht wie geplant stattfand.
Zunächst wurde mokiert, dass es zu dieser Veranstaltung keine flächendeckenden Einladungen gegeben habe. Beteuerungen der Stiftung SPI, die zusammen mit dem Bezirksamt den Abend organisiert hatte, dass der Termin auf verschiedenen Wegen angekündigt wurde, fanden kaum Gehör. Dass gerade diejenigen, die sich als Opfer vermeintlicher Nichtberücksichtigung sahen, sehr stark vertreten waren, sprach nicht unbedingt für die Logik des vorgebrachten Vorwurfs. Auch wenn das eigene Erscheinen damit begründet wurde, zufällig von der Veranstaltung erfahren zu haben beziehungsweise entsprechend mobilisiert worden zu sein. Vor allem die Protestgemeinde sorgte dafür, dass sich in Spitzenzeiten immerhin rund 50 Menschen im ehemaligen Kirchenraum eingefunden hatten.
Aber richtig war, es fehlte ein breites Spektrum an Menschen, die in diesem Kiez wohnen. Interessierte sie das Thema nicht? Ist die Gegend bereits so gentrifiziert, dass mögliche Abwehrstrategien gegen steigende Mieten bei vielen gar nicht mehr verfangen? Oder hatten manche einfach keine Lust auf einen möglicherweise krawalligen Verlauf? Dass es den geben könnte, war bereits im Vorfeld nicht ganz auszuschließen.
Und so hatten die, die es "ein geiles Symbol" fanden, "wenn wir diese Kiezversammlung lahmlegen" relativ leichtes Spiel. Wobei dem Terminus "Kiezversammlung" die größte Angriffswelle galt. Unter dieser Bezeichnung war die Veranstaltung angekündigt worden. Eine Frechheit, urteilten mehrere Stimmen im Publikum. Wie käme die Bezirkspolitik und die von ihr beauftragte und bezahlte SPI dazu, das Wort Kiez zu verwenden. Darauf beanspruchten diese Redner und ihre Anhänger die Deutungshoheit. Eine "Kiezversammlung", so wurde die Organisatoren belehrt, werde durch den Kiez einberufen. Und nicht sozusagen von den Bütteln des Systems, die mit den Immobilieninvestoren dealten.
Einige Besucher gab es, die zum eigentlichen Thema zurückführen wollten. Sie hätten sich extra für diesen Termin frei genommen, erklärten eine Frau und ein Mann unabhängig voneinander. Den Vortrag anhören und danach die eigene Meinung äußern, wäre doch ein akzeptables Vorgehen. Sie waren, zusammen mit elf weiteren Gästen, die ebenfalls per Abstimmung für den vorgesehenen Verlauf plädierten, in der Minderheit. Und weil sich auch nach mehreren Umdrehungen mit den nur wenig variierten Vorwürfen keine wirkliche Bewegung einstellte, erklärte Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) die "Kiezversammlung" schließlich für beendet. Konkret, sie war nicht durchführbar, war gesprengt worden.
Der Stadtrat hatte schon den gesamten Verlauf sehr genervt verfolgt. Vielleicht, weil seine Postulat einer breiten Partizipation von Anfang an an Grenzen gestoßen war. Selbst dass er einräumte, dass der Begriff "Kiezversammlung" nicht unbedingt passend gewesen wäre, sorgte für keine Beruhigung. Es ging auch um ein Kräftemessen.
"Leider muss ich mit großem Bedauern feststellen, dass sich Leute auf basisdemokratische Instrumente beziehen, die zugleich die Werte von Basisdemokratie mit Füßen treten, indem sie andere niederbrüllen, keine anderen Wünsche gelten lassen und überhaupt nicht interessiert zu sein scheinen an einem pluralen Meinungsaustausch", postete Florian Schmidt nach dieser Erfahrung. Auch Gewaltandrohung und eine angedrohte Verfolgung erwähnte er dort.
Der Bezirk hatte im Samariterkiez das übliche Instrumentarium herausgeholt, das beim Auftreten von Problemen Anwendung findet. Es heißt: Darüber in einen, wie auch immer strukturierten, Dialog treten. Was meist unter der Ägide eines beauftragten Büros passiert, in diesem Fall die Stiftung SPI. Deren Label für dieses Projekt lautet: "Miteinader leben im Samariterkiez". Die Miet- und Wohnsituation war dabei ein Auslöser. Ein anderer die Auseinandersetzungen in der Rigaer Straße, gipfelnd in der Kontroverse um das Lokal "Kadterschmiede" im Sommer 2016. Wo steht dieses Quartier, was wollen seine Bewohner, was muss sich verändern, waren Ausgangsfragen, die SPI in Erfahrung bringen sollte. Etwa in einer Art öffentlichem Wunschzettel wie im vergangenen Herbst. Auch die "Kiezversammlung" gehörte zu diesen Entscheidungsfindungshilfen.
Sie werde auch fortgesetzt, hieß es am Ende der etwas anders verlaufenen Veranstaltung. Wahrscheinlich unter einem anderen Namen. Wer Interesse habe, solle sich bitte eintragen. Und Sigmar Gudes nicht gehaltener Vortrag könne auf der Website der Stiftung nachgelesen werden.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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