"Knut, hab Mut": Behinderte und Pflegeassistenten besetzen Kreuzberger Rathaus
Friedrichshain-Kreuzberg. Rund 50 Pflegeassistenten und ihre Patienten besetzten am 4. April das Rathaus Kreuzberg. Der Grund war eine Auseinandersetzung um die Kosten persönlicher Assistenzen in Krankenhäusern, die auf ihrem Rücken ausgetragen wurde.
Wenn ein Behinderter in eine Klinik muss, braucht er oft besondere Hilfe, die das Personal dort schon aus Zeitmangel kaum leisten kann. Deshalb gibt es diese Betreuer. Ihre Leistungen sollen, zumindest bis zu zwei Dritteln der bewilligten Stundenzahl, von den jeweiligen Bezirken, bezahlt werden. So sieht es eine Vertragsvereinbarung vor, die die damalige Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales im Frühjahr 2016 mit drei Berliner Anbietern geschlossen hat. Die meisten Bezirke kommen diesen Vorgaben nach. Friedrichshain-Kreuzberg allerdings bisher nicht. Deshalb kam es zum Aufmarsch und dem danach zeitweise gesperrten Zugang zum Rathaus.
Wenn wegen der fehlenden Zahlungen den Betroffenen nicht mehr geholfen werden könne, würde das möglicherweise zu schweren Komplikationen führen, machten die Demonstranten deutlich. Im schlimmsten Fall zum Tod. Der zuständige Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) wurde deshalb aufgefordert, sein bisheriges Vorgehen zu revidieren. "Knut, hab Mut", skandierten die Besetzer, auch enttäuscht darüber, dass der Stadtrat während ihrer mehrstündigen Okkupation nicht vor Ort auftauchte. Er hätte Termine außerhalb des Bezirks, wurde mitgeteilt.
Mildner-Spindler äußerte sich dann am folgenden Abend in der Bezirksverordnetenversammlung ( BVV). Seine Kernaussage: Er habe sein Amt gebeten zu prüfen, ob die ausstehenden Rechnungen unter Vorbehalt beglichen werden können. Es soll sich dabei um eine Summe von rund 40 000 Euro handeln. Seine weiteren Aussagen führten ins Dickicht der Sozialgesetzgebung unter besonderer Berücksichtigung des Themas Pflegeassistenz. Dass es gerade dabei einige ungeklärte Fragen gebe, räumen auch die zeitweiligen Rathausbesetzer ein. Zum Beispiel ist es umstritten, ob der Bezirk für die Kosten zuständig ist oder nicht vielmehr die Krankenkassen zahlen müssten.
Der Stadtrat brachte noch weitere Argumente vor. Etwa, dass die Vereinbarung mit nur drei Trägern abgeschlossen wurde. Es gebe aber noch weitaus mehr, die ebenfalls Assistenzen anbieten. Insgesamt würde es sich hierbei um ein Konstrukt handeln, das möglicherweise rechtlich nicht abgesichert sei. Außer Friedrichshain-Kreuzberg würden das auch einige andere Bezirke ähnlich sehen.
Argumente, die allerdings in der BVV wenig Widerhall fanden. Die FDP hatte einen Dringlichkeitsantrag unter der Überschrift "Fair sein und Rechnungen bezahlen" eingebracht. Ihm schlossen sich im Verlauf der Sitzung fast alle anderen Fraktionen an, er wurde einstimmig verabschiedet. Für die Grünen war das Thema Anlass für eine dringliche mündliche Anfrage. Der Tenor ging dabei in die gleiche Richtung. Wenn der Senat so eine Abmachung veranlasst habe, seien auch mögliche juristische Bedenken erst einmal dessen Problem. Zumal die Ausgaben ohnehin bei der Landeskasse geltend gemacht werden können. Und, auch darauf hatten bereits die Demonstranten verwiesen, seien Menschen, die Assistenzdienste in Anspruch nehmen, ohne Ausgleich schlechter gestellt, als Behinderte, die ihre Helfer im sogenannten Arbeitgebermodell bei sich angestellt haben. Deren Unterstützung im Krankenhaus wird bereits seit 2009 vom Bezirksamt bezahlt. Deshalb handle es sich letztendlich um einen Fall von Diskriminierung – und das gerade in Friedrichshain-Kreuzberg, wo der Kampf gegen Ausgrenzung und für Inklusion immer sehr groß geschrieben werde. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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