Irrfahrten durch die Geschichte
Sommer in Berlin? Was macht man da? Man kann im Kiez abhängen und ein Eis essen gehen. Man kann freudig vor Entzücken jauchzend ein stilles unentdecktes Plätzchen am See mit einer prima Badestelle finden und dann mit dem großen Zeh feststellen, dass das Wasser ja zum Baden eigentlich viel zu kalt ist. Oder man macht sich auf den Weg die Berliner Mauer mit dem Fahrrad zu erfahren und zu erforschen. Als zugezogene Hannoveranerin wohne ich im Ostteil der Stadt und weiß wie viele hier fast gar nichts über den alten Westberliner Teil. Da sich das für mich ändern muss, will ich heute unbedingt meine Berliner Mauerweg Radtour fortsetzen. Dieser Drang hat schon vor einigen Wochen an einem Samstag angefangen. Mein eigentliches Ziel, eine Tour zum Preußenpark, musste aufgrund unsicherer Streckenführung durch plötzliche Besuchermassen des Karnevals der Kulturen auf Eis gelegt werden. Ich befand mich damals am alten Mauerwachtum im schlesischen Busch und hatte schon von einer Freundin gehört, dass sie eine Teilstrecke des Mauerweges gefahren sei. Also dachte ich bei mir: „Warum nicht? Los geht’s!“
An diesem Tag bin ich bis Schönefeld gekommen, was rund 14 km sind.
Bei zwei weiteren Etappen an darauf folgenden Wochenenden erschließe ich mir die Gebiete Schönefeld, Lichtenrade bis Lichterfelde und ich fahre weiter über die leider gerade nicht mehr blühende Kirschblütenallee bis Zehlendorf.
„Nun fehlt mir bis zur Vervollständigung der Südroute nur noch eine kleine Miniteilstrecke von ungefähr der Hälfte des Königswegs bis Wannsee“, so denke ich mir. Aber gerade diese Teilstrecke hat es in sich. Schuld daran ist mein Entdeckungswahn. Es hat sich in mir festgebissen, neben der Erkundung des Mauerweges noch ein Brückenteilstück der preussischen Stammbahn von 1838 zu entdecken. Die Stammbahn verband von 1938 bis 1980 Zehlendorf mit Potsdam in direkter Linie durch den Düppler Forst, ohne den Umweg über Wannsee zu fahren. Einfach spannend, wie ich finde.
Aus einer geplanten einstündigen Tour wird eine 3,5 stündige Irrfahrt über sandigen Boden und anderem nicht Stadtfahrrad geeigneten Untergrund.
Ich drehe mehrere Videos mit der Überzeugung nun endlich die Stammbahn gefunden zu haben. Während meines zweiten Videos bemerke ich voller Stolz: „Dies ist nun endlich die Stammbahnbrücke!“ Plötzlich fährt ein Auto über die Brücke. Ich kriege einen Lachanfall, denn mein Kopf assoziiert nun ein fahrendes Auto auf Schienen.
Aber meine Vermutung war nicht vollkommen falsch. Ich habe andere nicht minder großartige Entdeckungen für mich gemacht. Es stellt sich später heraus, dass die Brücke doch ein Teil der Stammbahn war (eben nur nicht die Brücke, die ich suchte) und nun als kleine Autobrücke genutzt wird. Eine vorher entdeckte rote Eisenbrücke über den Teltowkanal, ebenfalls fälschlicherweise von mir als Stammbahn betitelt, entpuppt sich später als alte Friedhofsbahn zum Südwestkirchhof Stahnsdorf. Nun gut, so sieht eben Entdeckung aus. Jedenfalls in meinem Fall.
Inmitten des ganzen Hin-und Hergeradels stelle ich mir irgendwann schmunzelnd die Frage: „Verliefen die Gleise jetzt im Zickzack?“ Ich weiß auf jeden Fall sicher, hätte ich meine Route aufgezeichnet, wäre ein Spinnennetz dabei herausgekommen.
Auf meiner weiteren Fahrt komme ich über eine sehr merkwürdige breite Brücke des Teltowkanals mit Unkraut dekoriertem Randstreifen und Rissen im Asphalt zu einem weiteren zugewucherten asphaltieren Bereich mit drei Fahnenmasten. Warum? Was ist das?
Es ist der alte Kontrollpunkt Dreilinden, der aufgrund von Änderungen im Grenzverlauf zwischen 1969 und 1972 stillgelegt wurde. Danach diente er noch als Campingplatz bis in die 90er Jahre, wovon noch ein altes verlassenes Rasthaus Geschichten erzählen könnte. Die breite Brücke ist die ehemalige Autobahnüberquerung über den Teltowkanal. Besonders faszinierend finde ich eine gebogene Langfeldleuchte, die wahrscheinlich als Beleuchtung des Kontrollpunkts und wohl auch später für den Campingplatz diente. Hier ist alles ruhig. Ich klettere argwöhnisch und listig durch eine Lücke im Metallzaun, um dann festzustellen, dass die Tür nebenan offen steht und hier jeder reinspazieren kann.
Auch ich bin hier nichts Besonderes und ich fahre weiter über einen gut ausgebauten Fahrradweg links den Teltowkanal entlang, vorbei an einer schwarz-braun gestreiften Katze bis nach Kohlhaasenbrück und zum S Bahnhof Griebnitzsee. Ein Blick zurück legt noch einmal die breite Autobahnbrücke frei, die später der Serie “Alarm für Cobra 11“ als Filmkulisse für Autostunts diente.
Ich fahre zufrieden in der S Bahn schunkelnd und mit vielen neuen Eindrücken zurück in meinen Ostberliner Kiez und denke lächelnd bei mir: „Nächsten Mal komme ich bestimmt weiter als nur bis Griebnitzsee!“ Wie weit das sein wird? Ich will mich lieber nicht mehr festlegen. Ich denke, dass hängt ganz von den Entdeckungen ab!
Autor:Alicia Mohrhoff aus Friedrichshain |
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