Karower Teiche
Es gibt manch zu entdeckendes Kleinod in dieser Stadt, am Rande der Stadt oder darüber hinaus. Gar nicht so weit vom Zentrum entfernt gelegen -
über Prenzlauer Berg, den Panke-Radweg entlang - gelangt man nach Karow mit seinem Naturschutzgebiet Karower Teiche. Das rund 128 Hektar große Gebiet liegt im Übergang vom Barnim zum Berliner Urstromtal; die vier Teiche erstrecken sich über 14,6 Hektar. Es sind Niedriggewässer, durchschnittlich nur einen Meter tief. Eingebettet in eine halboffene Landschaft mit Stieleiche, Eschenahorn oder Pappeln, mit kleinen Gehölzen, Hecken, Hochstauden und Wiesen.
Panke und Lietzengraben gruben hier nach der letzten Kaltzeit (Ende vor ca. 12 000 Jahren) Schmelzwasserrinnen in Sand, Kies und Geröll. Die Rinnen versandeten und es bildeten sich Niedermoore. Im 19. Jahrhundert begann der Torfabbau. Dadurch entstanden der Inselteich im Nordwesten und der Weidenteich im Südwesten. Der Ententeich im Nordosten sowie der Schilfteich im Südosten wurden 1911 für die Fischzucht ausgehoben. Vom Anlegen der Berliner Rieselfelder in Blankenfelde und Buch Ende des 19. Jahrhunderts, war auch das spätere Naturschutzgebiet betroffen, indem es der Nachklärung aber auch der Direkteinleitung von Abwässern diente. (Manche Besucher meinen, man könnte dies noch heute riechen.) 1985 wurde die Rieselwirtschaft eingestellt, was zum teilweise Austrocknen der Teiche führte. Erst mit dem Anstauen des Lietzengrabens ein Jahr später und dem damit verbundenen Wasserzufluss in die Teiche normalisierte sich der Wasserhaushalt wieder. (Daten und Informationen Wikipedia)
Es ist einer der in diesem Jahr seltenen sonnigen, warmen, weichen, lichtdurchfluteten Sommertage, an dem ich erstmals die Teiche besuchen will. Es ist eine Lust, Fahrrad zu fahren rechts der Panke, an Wiesen und Kleingartenanlagen vorbei. Man wähnt sich kaum in einer Großstadt, frei von den Belästigungen des Autoverkehrs, nur
zwei-, dreimal die Querung über eine Straße. Ich nähere mich von Süden her über die Pankgrafenstraße, der Straße, an der ein Krötentunnel für den Schutz von einem halbdutzend Frosch- und Krötenarten angelegt wurde. Erfahren habe ich dies von einem Tierfotografen, auf den ich auf einem der vier Aussichtsstände an den Teichen stoße. Er ist regelmäßig hier, lauert auf einen tollen Schuss, vom Fischadler beispielsweise, der hier irgendwo brütet, sich heute aber nicht blicken lässt. Unter uns platscht es permanent im seichten Wasser, voll mit Stichling, Karausche, Barsch oder Giebel, auf die die auf einer kleinen Insel mitten im Teich im Geäst sitzenden, in der Mittagshitze dösenden oder ihr Gefieder putzenden Kormorane keine Lust haben, weil sie satt sind. Der Fotograf macht mich auf die mannigfaltigen Vogelstimmen ringsum aufmerksam - “Hören Sie? Die stark gefährdete Rohrdommel, oder die Gartengrasmücke. Und jetzt die Bartmeise, hören Sie, hören Sie?” Ja, ich höre, aber ich erkenne und verstehe nicht. “Man muss sich schon ein wenig damit beschäftigen”, erwidere ich, “um die einzelne Art identifizieren zu können.” “In der Tat, hier brüten rund 90 Vogelarten”, gibt er zurück, “ ein Konzert wie von einem großen Sinfonieorchester, da muss man sich auch erst eine Zeitlang einhören, um zu verstehen.” Er ist regelmäßig hier und empfiehlt mir noch, auf alle anderen Teiche zu schauen, besonders auch auf den Ententeich, auf dem derzeit eine Vielzahl von Wasservögeln zu bewundern wäre. Auf meinem kurzen Weg dorthin erspähe ich eine Eidechse, die sich in der Mittagssonne wärmt. Sie sitzt ruhig an der Seite eines runden Holzpfahls, schreckt auch nicht weg, als ich mich vorsichtig nähere. Meine Sinne sind geschärft, wann habe ich das letzte Mal eine Eidechse in natura gesehen? Auf dem Ententeich tummeln sich tatsächlich eine ganze Anzahl verschiedener Schwimmer und Taucher. Die schön gemachte, leicht zu erfassende bunte Infotafel aus Holz gibt Auskunft: der Zwergtaucher - die kleinste europäische Taucherart mit ihren trillernden Lauten; eine Menge Rothalstaucher; eine anmutige Schwanenfamilie mit neugierig paddelnden braungrauen Jungtieren; Tafelente, Reiherente, Wasserralle, die sich meist im Schilf versteckt, ihre Schwester, die Blässralle und viele mehr. Der Teich ist ein gemischtes Bild vielgestaltiger Formen und Farben, das Zentrum eines Idylls, das man - noch garniert von bunten Libellenflüglern - gar nicht verlassen will. Hier ist man angetan von der Schönheit der Natur, ihrer überwältigenden Flora und Fauna, ihrer therapeutischen und heilsamen Wirkung. Kein Klischee - sehen, hören, riechen und empfinden, empfinden und genießen, und zur Ruhe kommen, zur inneren, die von der äußeren, auratischen zärtlich umfangen wird. Jene sichere, zufriedene innere Ruhe, die wir nur selten haben oder uns nur selten gönnen, je nach Empfindungskraft und Anrührungswillen.
Bei der Ausfahrt treffe ich noch auf einen jungen Mann, der von mir wissen will, wo denn diese schweizerische Rinderart ist, die hier alljährlich die Wiesen kurz hält und eine ganz besondere Rasse sein soll. Ich weiß es nicht, höre zum ersten Mal davon, sage ich ihm. Und ich sage ihm noch, dass das alles hier etwas Besonderes ist, etwas ganz Besonderes …
Autor:Thomas Kunze aus Friedrichshain |
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