Wer denkt ans Gewerbe? Firmen und Geschäfte werden immer mehr verdrängt
Friedrichshain-Kreuzberg. Bei der Gentrifizierungsdebatte liegt der Fokus meist auf den Wohnungsmietern. Ebenso sind aber auch Gewerbetreibende davon betroffen.
Deutlich wurde das nicht nur bei der wohl letzten Sitzung des Wirtschaftausschusses in dieser Legislaturperiode. Marina Nowak, Leiterin der Wirtschaftsförderung, lieferte dort eine Art Arbeitsnachweis ihrer Abteilung in den vergangenen fünf Jahren. Das wichtigste Thema, das die Firmen und Betriebe beschäftigte, sei die Standortsicherung, war eine ihrer Hauptaussagen.
Dabei gibt es vor allem zwei Probleme. Zum einen fehle häufig der Platz für Unternehmen, um zu erweitern. Denn das beißt sich in vielen Fällen mit der benachbarten Wohnbebauung. Im Bezirk seien selbst Quartiere mit viel Gewerbe meist als Mischgebiete ausgewiesen, sagt Marina Nowak. Es brauche aber Gegenden, wo es noch eine Art Bestandsschutz und Expansion für Betriebe geben müsse. Selbst wenn sie auch dort weiteren Richtlinien, etwa dem Lärmschutz unterworfen wären. "Aber ich weiß nicht, ob ein Viertel, in das selbst der Klempner noch von weit her anreisen muss, noch als lebendig durchgehen würde." Immerhin hat sie inzwischen erreicht, dass solche Fragen jetzt mehr beachtet werden.
Beispiel Bizim Bakkal
Das zweite große Thema sind die Veränderungen innerhalb des Gewerbes. Also dem Verdrängen von Geschäften zugunsten von immer mehr Lokalen, wie zuletzt nicht nur im Wrangelkiez. Dort hat der Kampf um den Erhalt des Lebensmittelladens Bizim Bakkal das Problem sichtbar gemacht. Gewerbemietverträge sind normalerweise befristet. Laufen sie aus, kann der Eigentümer seinen bisherigen Pächer ohne weiteres loswerden. Erst recht, wenn der die geforderten Preissteigerungen nicht bezahlen kann und ein anderer Interessent bereits bereitsteht. Viele Geschäftsleute hätten sich zu lange auf die automatische Verlängerung ihrer Verträge verlassen, meint Marina Nowak.
Der Bezirk versucht auch, mit Umwandlungsverordnungen, wie zuletzt im Graefekiez angewandt, gegenzusteuern. Neue Gaststätten sollen nicht mehr genehmigt werden, vor allem dann, wenn sie auf Kosten bisheriger anderer Betriebe gehen.
Lange wurde auch dem Bestand von Gewerbe gegenüber dem von Wohnungen weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Auch wenn es in dieser Richtung schon lange Warnungen gab. Etwa vom Linken-Bezirksverordneten Lothar Jösting-Schüßler, der schon vor Jahren darauf hinwies, dass das Umwidmen von Geschäften zu Wohnzwecken genehmigt werde, umgekehrt das aber untersagt sei.
Aufgewacht sei der Bezirk aber vor allem, als er andere Nebenwirkungen feststellte, meint ein Insider. Denn nicht nur Gewerbetreibende seien inzwischen von der Verdrängung betroffen, sondern auch Sozialeinrichtungen, Bildungsträger oder Kitas. "Als dieses Klientel darauf aufmerksam machte, fand das Thema Gehör." tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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