Der frühere BV-Vorsteher Hinrich Lühmann ist tot
Abschied von einem Mann, der in Erinnerung bleibt
Am 11. November ist Hinrich Lühmann im Alter von 80 Jahren gestorben. Auf der Liste der CDU war der Parteilose 2011 in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gekommen und wurde sofort zum BVV-Vorsteher gewählt.
Das Amt bekleidete er bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden im September 2018. Unbekannt war ihm die Arbeit in der Kommunalpolitik schon vorher nicht. Von 1999 bis 2011 war Hinrich Lühmann Bürgerdeputierter im Schulausschuss. Das lag schon deshalb nahe, weil er bis zu seinem Ruhestand 2008 Direktor des Humboldt-Gymnasiums war. Dort hatte er 1963 sein Abitur gemacht.
Vor seiner Rückkehr als Pädagoge an die Schule hatte Hinrich Lühmann Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert. Er war Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Nancy in Frankreich und betrieb eine psychoanalytische Praxis.
Hinrich Lühmann war neugierig und offen für neue Wege. Deutlich wurde das auch in der Zeit, als er BV-Vorsteher war. Es sei ihm gelungen, die Arbeitsweise der BVV neu zu justieren, die Arbeit für die Bezirksverordneten zu modernisieren und für die Bürgerinnen und Bürger mehr Transparenz zu schaffen, erklärte der CDU-Kreisvorsitzende und damalige Bürgermeister Frank Balzer in einem Nachruf. Gemeint ist damit vor allem die Digitalisierung, die Hinrich Lühmann angeschoben und vorangetrieben hat und die Reinickendorf zu einem interaktiven Vorreiter gemacht haben.
Übertragungen der BVV-Sitzungen im Internet und Drucksachen online statt ausgedruckt, das diente dem Ziel, allen Interessierten einen niederschwelligen Zugang zu den Sitzungen der BVV zu ermöglichen. Diese Verdienste werden mit seiner Amtsführung verbunden bleiben. Ebenso wie seine souveräne, faire, manchmal witzige Sitzungsleitung. Eine Autorität mit Lebenserfahrung. „In der Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung wurde Hinrich Lühmann über alle Parteigrenzen hinweg hochgeschätzt, da er das Amt des Vorstehers sehr überparteilich ausgeübt und den Bezirk stets würdig und auch humorvoll repräsentiert hat“, würdigte ihn Grüne-Fraktionsvorsitzende Hinrich Westerkamp. Insbesondere bei Gedenkfeiern habe er immer wieder wichtige und mahnende Reden gehalten.
Sein Wirken in der BVV habe ich nicht persönlich erlebt und kannte es deshalb nur aus Erzählungen. Es lag vor meiner Zeit als Reporter in Reinickendorf. Persönlich kennengelernt habe ich Hinrich Lühmann erst im Februar dieses Jahres. Der Anlass war sein Buch „Rachulle“. Der Titel bezieht sich auf den Kosenamen seines Vaters, der in dem Werk „Fritz Eckhoff“ heißt. „Rachulle“, so wird erklärt, sei ein ostpreußischer Name für jemanden, der sich durchzusetzen weiß. In Bezug auf den Vater fiel das Wort vor allem dann, wenn er wieder Ärger gemacht hatte. „Fritz Eckhoff“ machte einigen Ärger. Er war desinteressiert in der Schule, trat schon 1931 mit 13 Jahren in die Hitlerjugend ein und beteiligte sich an Schlägereien und Saalschlachten. Ein früher Nationalsozialist, der gleichzeitig Gedichte schrieb, später Mitglied der Bekennenden Kirche war und der als Soldat Anfang 1945 in der Nähe von Frankfurt an der Oder starb. Hinrich Lühmann hat seinen Vater nie kennengelernt.
Nicht nur am Beispiel von Fritz Eckhoff stellt er die Frage nach Wegen und Abwegen anhand seiner Familiengeschichte. Der Großvater, der sich den Nazis verweigert und deshalb als Schulleiter degradiert wird. Die Großmutter, die sich ihre eigene vornehmlich heimelige bürgerlich-konservative Welt baut, deren Hort das „Gelbe Haus“ in Frohnau wird, in dem Hinrich Lühmann lebte. Das Beschweigen der Nazizeit nicht nur in diesem Haus nach dem Krieg. Und neben diesen Verwerfungen und Verstrickungen gibt es auch eine kuriose Episode. Die Familie Lühmann ist nämlich mit den englischen Royals verwandt. Sein Urgroßvater war das uneheliche Kind des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha. Der war wiederum der Bruder des Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, dem Ehemann der britischen Königin Viktoria.
Es war ein sehr interessantes und intensives Gespräch im „Gelben Haus“. Ausgehend von „Rachulle“ ging es auch um die heutige Situation, um die Frage, was aus seiner Familiengeschichte zu lernen ist und welche Schlüsse er selbst daraus gezogen hat. „Es ist gefährlich, Ideale zu verwirklichen“, sagte Hinrich Lühmann. Das gelte selbst für positive Ideale. Zu viele auch aktuell bestehende Glaubensfilter würden Gefahren in der Realität bedeuten. „Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, wie dünn die Grenze zu einem ganz anders gearteten Ideal ist“. Auch für diese Sätze wird Hinrich Lühmann in Erinnerung bleiben.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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