Villenkolonie Grunewald: Geschichte hinter eisernen Zäunen

Wissenswertes am Grundstückszaun: Historikerin Birgit Jochens kennt die Geheimnisse des elitären Kiezes. | Foto: Thomas Schubert
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Grunewald. Gestern ein Domizil der Intellektuellen – heute Rückzugsort für Millionäre: Das Villenviertel am Bahnhof Grunewald war schon immer ein erlesenes Stück Berlin. Historikerin Birgit Jochens führte nun eine Gruppe auf die Spur der ruhmreichen Bewohner.

Wie niemals blinzelnde Augen stieren Überwachungskameras hinaus auf das Trottoir. Die Namen an den Klingeln: verknappt zu Initialien. Die Fassaden: makellos rekonstruiert – oder aber verstellt mit Baugerüsten. Verschnörkelte Zäune trennen den Straßenraum vom teuren Besitz. Und während Birgit Jochens zur nächsten Adresse schreitet, schleichen Sportwagen vorbei an ihrer Gruppe, der Bürgersteige zu eng sind. Jochens ist keine Immobilienmaklerin, ihre Begleiter sind keine künftigen Bewohner. Bei diesem Spaziergang geht es um Kultur und Geschichte, um Auftraggeber und Architekten. Und um das Verhältnis von Albert Einstein und Samuel Fischer.

Dass sich die Villenkolonie Grunewald auf 234 Hektar an den westlichen Rand Berlins schmiegte, geht zurück auf ein Arrangement der 1880er-Jahre. Und von Anfang an war klar, dass südlich des Bahnhofs Hundekehle, später umbenannt in Bahnhof Grunewald, zwischen künstlich angelegten Seen keine Möchtegerns siedeln würden, sondern nur elitäre Persönlichkeiten dieser Zeit.

„Hier entstand etwas grundsätzlich Anderes als etwa in der Villenkolonie Westend“, sagt Jochens. „Das waren eher Sommerhäuser.“ Hier an der Trabener Straße – wie die meisten Wege dieses sehr speziellen Kiezes benannt nach einem Weinort – residierten Damen und Herren durchgängig in Opulenz. Franz und Robert von Mendelssohn, Gerhart Hauptmann, die Ullstein-Brüder, Walter Rathenau, Max Planck. Die Liste der Bewohner liest sich wie der Auszug eines Lexikons. Und ein Drittel der Anrainer war jüdischen Glaubens, was nach Machtergreifung der Nazis zu besonders drastischen Umwälzungen führte.

Nicht mehr davon betroffen: Samuel Fischer, der 1934 eines natürlichen Todes starb. Und bis dahin in der Erdener Straße 8 ein illustres Kommen und Gehen seiner Autoren bezeugte. Ein gewisser Thomas Mann, ein Gerhart Hauptmann, ein Arthur Schnitzler. Allein gemein: Fischer war ihr Verleger. Weltliteratur schien in Grunewald ebenso verwurzelt wie das Bankenwesen und beherzte Politik. Unvergessen: der tödliche Anschlag auf Walther Rathenau im Jahre 1922. Aber wer weiß, dass selbst Albert Einstein im Hause Fischer gerne hallo sagte – und im festen Glauben an seine musikalische Begabung zur Geige griff. Ein Selbstverständnis, das ihm tatsächlich talentierte Gefährten wie die Philharmoniker nehmen mussten.

Überhaupt die Geselligkeit. Isadora Duncan, Partnerin von Engelbert Humperdinck, betrieb nicht weit von der Literatenvilla eine Tanzschule. Man kam nach Grunewald zum Genuss von Lesungen und Konzerte, während die Kameras heute kaum einen Passanten erspähen werden. Rückzug statt Kontaktpflege, das ist das Credo in den Reichenvierteln unserer Zeit.

Neuerdings recken sich wieder Baukräne über leergeräumte Grundstücke, auf dass neue Herrlichkeit Platz findet zwischen mondäner Architektur der Gründertage.

Allerdings unter einer Auflage des Bezirks, man möge historische Formen aufgreifen, was bisweilen auch zu kruden Interpretationen führte. In manchen Fällen genügt zur Erfüllung der Auflage allein ein Schwung des Balkongeländers.

Aber ob die vermögenden Bewohner ihren Besitz, ob restauriert oder neu erbaut, tatsächlich genießen können? „Unterhalt und Instandsetzung dürften bombastisch sein“, vermutet Jochens. Und so deutlich die heutige Lebenssituation von der früheren Geselligkeit abwicht, bleiben die Grundvoraussetzungen doch die selben. Nach Grunewald zieht man nicht einfach um. Man kauft sich ein. tsc

Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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