Erlebnis am Teufelsberg setzt auf Heilkraft der Töne
Am Anfang stehen wir im Kreis. Und lauschen. Lauschen und hören - erstmal nichts. "Wir wollen jetzt in der Wahrnehmung zu uns selbst finden", sagt Maria Waidacher. Wir leisten unserer Anleiterin Folge, schlenkern hierzu mit den Armen, wippen auf den Fußspitzen. Einige beginnen zu tänzeln. Jeder entspannt auf seine Art. Und je mehr Alltag von uns abfällt, je mehr gewinnt das akustische Nichts an Fülle. Dieser Ruf einer Nachtigall: war er die ganze Zeit schon da? Diese zirpenden Meisen: Hatten sie bis eben den Schnabel gehalten oder waren wir dafür taub? Das Rascheln von Jacken, der Atem der Nachbarn hier im Kreise. Das alles wird jetzt laut, entwickelt eine Präsenz, welche es ohne die bewusstseinschärfenden Umstände nicht hätte. Unsere Ohren sind offen. Wir sind bereit.
Bei der Klangerlebnisführung auf dem Teufelsberg, so viel sei gleich gesagt, wird nicht glücklich werden, wer Meditationsgebaren für Hokuspokus hält. Was Maria Waidacher als Veranstalterin dieser Tour leistet? Sie verbindet bekannte Entspannungsübungen mit den Gegebenheiten eines sehr speziellen Ortes. Dies ist die Garage der ehemaligen NSA-Abhörstation auf dem Teufelsberg. Und wir haben uns gerade warmgemacht für das Klangerlebnis am höchsten Punkt Berlins.
Nun geht es im Gänsemarsch hinauf aufs Plateau. Panoramablick über den Grunewald. Pfützen zwischen halb zerstörten Abhörkuppeln. Hinter dem grünen Saum der Bäume erheben sich spielzeugklein die Gipfel Berlins. Häuser und Türme auch weit im Osten, von denen Äußerungen ausgingen, die im Kalten Krieg US-Agenten hellhörig machten.
Jetzt aber horchen wir. Lauschen ganz friedlich dem, was um und in uns ist. Wenige Minuten später ist der Ort erreicht, der diese Schwingungen um ein Zigfaches verstärkt zum Hallen bringt: die große Kuppel. Jetzt heißt es Platznehmen auf kaltem Beton. Hinhören. Sinne schärfen. Es duftet nach Weihrauch, Sonne blinzelt durch eine Öffnung des Doms. Wir drohen uns von der Graffitikunst an den Wänden ablenken zu lassen, da beginnt Kerstin Weiberg, die Maria heute assistiert, mit der Zeremonie.
Sie steht auf, wird zur Dirigentin eines klanglichen Reigens, den wir erst aus Lautsprechern hören, dann mit eigenen Lautäußerungen ergänzen. Holzpaletten in unserer Mitte werden zum Altar, umherstehende Fässer zum Gong. Ich tippe mit meinem Stift auf Metall und erhalte ein Triangel-Klingeln. Ich schlage mit der Faust an die Wand. Ein Donnerhall. Um mich herum ist das anfangs leise Summen zum leidenschaftlichen Chorgesang geschwollen. Eingeschlossen darin: Kinderlachen, Schreckensschreie, Stöhnen. Einige springen auf und vollführen rauschende Tänze. Andere schütteln den Kopf und flüchten. Wieder andere sind vor Wonne eingenickt, lehnen mit offenem Mund an der Bande. Wir haben jetzt das volle Klangerlebnis, fühlen uns verschluckt von einem künstlichen Kokon, lassen Regungen frei, die gefangen waren, werden teil eines spirituellen Konzerts. "Wir wissen nie so genau, was geschieht", wird mir Maria Waidacher später sagen. So ungewöhnlich improvisiert wie heute wurde bisher selten. Zu früheren Anlässen gab auch schon ein Opernsänger den Ton an. Da war er Herr über jeden Mucks.
Abseits des Berges arbeitet Waidacher als Lebensberaterin, sorgt sich um gesunde Ernährung, baut auf wissenschaftlich Bewiesenes. Hier oben stellt sie Gesundheit her mit Stimmbändern, Trommelfellen - und ein bisschen Esoterik. Als alle wieder hinabsteigen, sind wir zumindest um ein abgefahrenes Berlin-Erlebnis reicher. Nicht wenige in unserer Gruppe waren Touristen. Solche, die der NSA-Basis einmal ganz unkonventionell aufs Dach steigen wollten. Bewusstseinserweiterung ist ja auch eine Art von Spionage. An diesem Sonntag waren wir Seelenspitzel.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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