Fluglotsen für die Schiene
Seit 30 Jahren werden die S-Bahnen in der historischen Betriebszentrale in Halensee gesteuert
In der Betriebszentrale S-Bahn Berlin an der Halenseestraße neben der Stadtautobahn stellen Fahrdienstleiter die Weichen und Signale für alle 16 S-Bahn-Linien. Die Deutsche Bahn-Tochter DB Netze sucht dringend weitere Lotsen.
Draußen schneit’s und es ist dunkel. In der oberen Etage der Betriebszentrale S-Bahn Berlin (BZ), wie die elektronischen Stellwerksplätze im historischen Klinkerbau heißen, steuern 29 Fahrdienstleiter rund um die Uhr elektronisch die Stellwerke. Jeder hat einen Bedienplatz mit zehn Monitoren und Telefonen. Die Züge bewegen sich als Nummern auf grünen Fahrstrecken.
Wenn eine Weiche muckt oder eine Bahn nicht aus dem Bahnhof kann, blinkt und bimmelt es. Dann müssen die Fahrdienstleiter eingreifen, mit den Lokführern telefonieren und blitzschnell mit einem der vier für die Streckenabschnitte zuständigen Disponenten Entscheidungen treffen. „Okay, du darfst dann weiterfahren, schönen Dienst noch“, sagt Stojanka Dzombic am Telefon zum Lokführer, nachdem alles geklärt ist. Bahner duzen sich, auch wenn die Fahrdienstleiterin nicht jeden der über 1000 Lokführer kennt. Der „L24“, wie Dzombic den Fahrer nennt, hatte sich gemeldet, weil sich ein Kind einer Schulklasse die Hand in der Tür eingeklemmt hatte. Zum Glück ist nichts weiter passiert, Dzombic hat Hilfe organisiert und den Zug wieder aufs Gleis gelassen.
Weichen im Nord-Süd-Tunnel
Sie war vorher Schaffnerin im Regionalverkehr und ist seit vier Jahren Fahrdienstleiterin in der BZ. Stojanka Dzombic steuert dort das elektronische Stellwerk Schöneberg und stellt die Weichen im 5,8 Kilometer langen Nord-Süd-Tunnel, durch den vier S-Bahn-Linien rauschen. „Es ist auch irgendwie ein Kick und toll, soviel Verantwortung zu tragen“, sagt Stojanka Dzombic und klickt mit der Maus im bunten Netzplan, um eine Weiche zu stellen. Ihr Abschnitt bedarf schon besonderer Aufmerksamkeit, denn bei Havarie müssen die Züge schnell aus der Röhre in die Bahnhöfe gebracht werden.
Die Fahrdienstleiter sind für 1,3 Millionen Fahrgäste verantwortlich, die täglich auf den 16 S-Bahn-Linien mit 168 Bahnhöfen unterwegs sind. 3000 Fahrten pro Tag muss die BZ täglich abwickeln. Mit einer Zugfahrt ist eine komplette Tour zum Beispiel der Linie S1 von Oranienburg bis Wannsee gemeint. Klar, dass es bei 56.000 Halten täglich zu Störungen kommt. Auf dem Monitor von Matthias Engelmann werden an diesem Tag 88 Störungen angezeigt, im Schnitt sind es 120 am Tag. „Wir hatten heute schon erhöhtes Fahrgastaufkommen, Feueralarm im Flughafenbahnhof, Missbrauch Notbremse und Fahrzeugtausch“, zeigt er auf der Live-Störungsliste.
Engelmann ist der Chef der S-Bahn-Betriebszentrale. Einer der Hauptstörfälle mit Verspätungsfolgen und Zugausfällen sind immer wieder Personen im Gleis. „Das passiert mehrmals am Tag“, sagt Matthias Engelmann. Der Lokführer ruft dann die Fahrdienstleiter in Halensee an, die die Strecke für nachfolgende Züge sperren, die Bundespolizei informieren und blitzschnell mit dem Bereichsdisponenten das weitere Zugprogramm managen.
Weitere Fahrdienstleiter gesucht
Engelmanns Team besteht aus insgesamt 280 Mitarbeitern – ein Viertel Frauen, die im Schichtsystem den S-Bahn-Betrieb auf 340 Kilometer Gleisen (das ist ein Prozent des gesamten deutschen DB-Schienennetzes) steuern. Etwa ein Drittel dieses Netzes wird noch in zehn Stellwerken per Knopfdruck gesteuert. In Schönfließ, Oranienburg und Schöneweide zum Beispiel sitzen die Fahrdienstleiter in den Bauwerken neben den Gleisen und haben wie seit 100 Jahren Sichtkontakt mit den Zügen. Engelmann sucht dringend weitere Kollegen, die als „Fluglotsen für die Schiene“ in der BZ Halensee arbeiten. Bis 2026 sollen die Züge in allen Stellwerken per Mausklick vorm Monitor gesteuert werden.
Quereinsteiger am Monitor
Am Klinkerbau der BZ wirbt eine riesige Stellenanzeige für den Job als Fahrdienstleiter. 18 Azubis werden aktuell gesucht, die eine dreijährige Ausbildung zum Zugverkehrssteuerer machen wollen. Dazu sucht Matthias Engelmann noch 35 Quereinsteiger, die sich zum Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn umschulen lassen. Matthias Engelmann hat Berufswechsler aus vielen Bereichen hier oben vor den Monitoren.
Der Job wird mit 39.000 bis 58.000 Euro im Jahr bezahlt. Auszubildende bekommen je nach Lehrjahr zwischen 1224 und 1431 Euro im Monat sowie ein 13. Monatsgehalt. Voraussetzung für den Job sei „Lust auf Eisenbahn“, wie Engelmann sagt. Der BZ-Chef wollte eigentlich Lokführer werden und ist aber gleich beim Fahrdienst gelandet. Eine Modellbahn im Keller ist keine Einstellungsbedingung, Reaktionsvermögen und stabile Belastbarkeit in Stresssituationen, um schnell Entscheidungen treffen zu können, schon. Jeder Bewerber muss vorher ähnliche Eignungstests wie bei Fluglotsen bestehen.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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