Zeitreise in das alte Hansaviertel
An Flensburger Straße und Holsteiner Ufer ist es noch lebendig
Die Bombardierungen des Zweiten Weltkrieges haben das einstige vornehme Hansaviertel ausradiert. Heute prägen Bauten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein Bild. Doch es gibt noch Winkel, in denen man dem alten Stadtviertel vor seiner Zerstörung nachspüren kann.
Ausgangspunkt der kleinen Zeitreise in das Viertel, dessen Name übrigens an die Zugehörigkeit Berlins zur Vereinigung der niederdeutschen Kaufleute im 14. Jahrhundert erinnert, ist der S-Bahnhof Bellevue.
Den doppelgeschossigen Viaduktbahnhof an der Bartningallee ließ die damalige Berliner Stadteisenbahn schon 1879 bis 1882 von der Baufirma C. Krause & Co. errichten. Der Entwurf stammt von Johann Eduard Jacobsthal (1839-1902). Er war leitender Architekt beim Bau der Berliner Stadtbahn. Vorbilder für den gewählten Bautyp gab es in London. In der Reichshauptstadt aber war er neu. Besonders bemerkenswert ist die helle, feingliedrige Hallenkonstruktion über dem Bahnsteig. Heute ist der S-Bahnhof Bellevue neben dem Bahnhof am Hackeschen Markt der letzte dieser alten Berliner Stadtbahnhöfe.
Norddeutsche Renaissance
An der Bartningallee geht es weiter Richtung Norden. Bald ist die Moabiter Brücke über die Spree erreicht. Von Moabiter Seite hat man den besten Blick auf das Holsteiner Ufer. Es präsentieren sich drei Doppelmietshäuser, die ab 1891 errichtet wurden; prachtvolle Bauten mit üppig gestalteten Fassaden. Vor den Gebäuden mit vier Stockwerken und Souterrain im Stil der Norddeutschen Renaissance und des Barock liegen beschauliche Vorgärten.
Wir gehen an ihrer bunten Blumenpracht vorbei, bis linker Hand die Claudiusstraße abzweigt. Das Haus mit der Nummer 14 und 16 am Holsteiner Ufer und der Nummer 9 an der Claudiusstraße erinnert mit seinen großverglasten Atelierwohnungen daran, dass im alten Hansaviertel einst viele bildende Künstler und Schriftsteller lebten.
Die Claudiusstraße mündet in die Flensburger Straße. Richtung Westen bietet sich ein idyllisches Panorama: Vier herrschaftliche Mietshäuser reihen sich aneinander. Sie wurden 1886 bis 1893 auf einem schmalen, trapezförmigen Grundstück am Stadtbahnviadukt errichtet. An der Straßenseite befinden sich wie anno dazumal im Souterrain kleine Geschäfte und Vorgärten. An die breiten Vorderhäuser mit ihren Erkern und Balkonen sind Seitenflügel angebaut. Sie reichen bis dicht an die S-Bahn. Früher hatten dort die Dienstboten ihre Zimmer.
"Adlon des Westens"
Eine kleine Abschweifung sei gestattet. Das Mietshaus an der Flensburger Straße mit der Nummer 5 hat der Bankier und Investor Fedor Berg errichten lassen. Er hatte stets große, weitschweifende Ideen. Dazu gehörte das „Lustspielhaus“ in der Friedrichstraße 236. Das Privattheater war von 1904 bis 1921 in Bergs Besitz. So richtig verzockt hat sich Fedor Berg allerdings mit dem Boarding-Haus „Cumberland“ in Charlottenburg. Auf seinem Grundstück am Kurfürstendamm, so Bergs Traum, sollte ein „Adlon des Westens“ für die Reichen und Superreichen entstehen. Aber das von Fedor Berg erwartete erlesene Publikum kam nicht. 1913 musste der Unternehmer Konkurs anmelden.
Der kleine Rundgang endet an der Altonaer Straße. Wie ein Fremdkörper erhebt sich ein riesiger Backsteinbau am Ufer der Spree. Sein steiler Stufengiebel ist das Erste, was auffällt. Der Bau erinnert an Häuser, wie sie zur Zeit der Renaissance in Norddeutschland und in den Niederlanden gebaut wurden. Das war ganz die Absicht des Architekten und zeitweiligen Berliner Stadtbaurates Ludwig Ernst Emil Hoffmann (1852-1932). Er wollte an die Hansestädte erinnern. Entstanden ist das Bauwerk, die ehemalige 13. Realschule der Stadtgemeinde Berlin, in den Jahren 1901 bis 1902. Ihre Ausrichtung auf Technik und Naturwissenschaften veranschaulichen die Masken und Bildreliefs an der Fassade. Sie symbolisieren Maschinenbau, Physik, Chemie und Geographie. Das frühere Lehrerwohnhaus und die alte Turnhalle der Schule wurden 1970 abgerissen.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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