Das Finanzamt Moabit-West „verwertete“ das Hab und Gut jüdischer Opfer des Nationalsozialismus

Eine Gedenktafel neben der Feuerwache Tiergarten in der Elisabeth-Abegg-Straße unweit der Moltkebrücke erinnert an die Verbrechen der "Vermögensverwertungsstelle". | Foto: KEN
  • Eine Gedenktafel neben der Feuerwache Tiergarten in der Elisabeth-Abegg-Straße unweit der Moltkebrücke erinnert an die Verbrechen der "Vermögensverwertungsstelle".
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Moabit. Nach jahrelangen, oft zähen Verhandlungen wird 2017 endlich ein würdiger Gedenkort am ehemaligen Güterbahnhof Moabit entstehen. Von dort transportierten Deportationszüge jüdische Mitbürger zumeist in den Tod. Was aber geschah mit ihrer Habe und ihrem übrigen Vermögen? Eine schlimme Rolle spielte dabei die Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg.

Straße Alt-Moabit 143-145: Heute ist dort die Polizei- und Feuerwache des Regierungsviertels untergebracht. In der Nazizeit befand sich an der Stelle die Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg. Am 25. November 1941 wurde die 11. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ erlassen. Sie war die scheinlegale Grundlage der letzten „Entjudungsaktion“. „Die intern als ‚Aktion 3‘ betitelte finale Enteignung aller deutschen Juden durch die Finanzämter begann“, so Regine Buchheim, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Sie forscht unter anderem zu Steuern und Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus. Organisator der Vermögenseinziehung war der Chef des Sicherheitsdienstes der SS.

Er schickte die Transportlisten an den Oberfinanzpräsidenten. „Jeder sich legal in Berlin und Brandenburg aufhaltende Jude wurde hier registriert, damit nach seiner Flucht oder Deportation sein Hab und Gut zu Geld gemacht werden konnte. Denn es ging um jede Form von Vermögenswerten, nicht nur um Geld. Bis ins Detail war geregelt, wie mit dem jüdischen Eigentum umzugehen ist“, erläutert die Moabiter Initiative „Sie waren Nachbarn“.

Der Historiker Wolfgang Dreßen beschrieb bereits 1998 in seinem Katalog zur Ausstellung „Betrifft Aktion 3“ im Stadtmuseum Düsseldorf, was das für die betroffenen Juden in Großstädten wie Berlin bedeutete. Vor seiner Deportation musste jeder Einzelne, egal ob Erwachsener oder Kind, eine Vermögenserklärung abgeben, darin genau vermerkt jeder mögliche Wert, von einzelnen Wäschestücken, Möbeln, Büchern, Porzellan, Besteck oder Küchengeschirr bis zu Wertpapieren, Geldkonten und Immobilien.

Für die Ausraubung der jüdischen Opfer wurde in Berlin das bei Enteignungen von Kommunisten, Juden und sonstigen Staatsfeinden erfahrene Finanzamt Moabit-West als regionale „Vermögensverwertungsstelle“ beauftragt. Es hatte seit 1930 seinen Sitz in der Luisenstraße 33-34. Die Verwertungsstelle war beim Oberfinanzpräsidenten angesiedelt.

Kaum hatte eine jüdische Familie ihre Wohnung verlassen, traf sich dort ein Finanzbeamter mit der Hausverwaltung, einem Gebrauchtwarenhändler und einem Schätzer. „Sie verglichen Wohnung und Vermögenserklärung miteinander, vermerkten fehlende oder zusätzliche Stücke. Der Taxator schätzte die einzelnen Gegenstände“, so Wolfgang Dreßen. Der größte Teil des Vermögens sei in den Händen der Finanzverwaltung geblieben, sagt der Historiker.

Möbel und Hausrat wurden versteigert. Der Erlös ging nach Abzug aller Kosten an das Finanzamt. Nach vorsichtigen Schätzungen von Regine Buchheim wurden den Juden in Deutschland durch die „Aktion 3“ Vermögenswerte in Höhe von umgerechnet 15 Milliarden Euro geraubt. KEN

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Schonende Verfahren für Ihre Rückengesundheit werden am 19. März vorgestellt. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Informationen für Patienten
Minimal-Invasive Wirbelsäulenchirurgie

Leiden Sie unter anhaltenden Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenbeschwerden? Moderne minimal-invasive Operationsverfahren ermöglichen eine schonendere Behandlung mit schnelleren Genesungszeiten. Erfahren Sie mehr über innovative Therapiemöglichkeiten bei unserem Infoabend mit Dr. (Univ. Kermanshah) Kamran Yawari, Teamchefarzt des Caritas Wirbelsäulenzentrums. In seinem Vortrag erläutert er die Vorteile minimal-invasiver Wirbelsäulenchirurgie und zeigt auf, wann und für wen diese Methoden sinnvoll...

  • Reinickendorf
  • 18.02.25
  • 89× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es gibt und wie moderne Behandlungsmöglichkeiten helfen können.  | Foto: pixel-shot.com, Leonid Yastremskiy

Proktologie: Ende gut, alles gut!

Unser Darm ist mit seinen 5 bis 7 Metern Länge ein wahres Wunderwerk unseres Körpers. Doch wenn es am Ende des Darms zu Erkrankungen kommt, kann das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – auch wenn man es nicht sieht. Aus Scham werden diese Probleme oft verschwiegen, dabei gibt es in den meisten Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir laden Sie herzlich zu unserem Informationsabend ein! Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es...

  • Reinickendorf
  • 19.02.25
  • 42× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Patienten fragen
Steine in der Gallenblase – was nun?

Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem. Etwa jede fünfte Person in Europa ist betroffen, und fast die Hälfte entwickelt im Laufe des Lebens Beschwerden. Diese äußern sich meist in Form von wiederkehrenden Schmerzen, insbesondere im rechten Oberbauch. In einigen Fällen können Gallensteine zu ernsthaften Komplikationen wie einer Entzündung der Gallenblase führen. Die bevorzugte Therapie bei Beschwerden ist die operative Entfernung der Gallenblase – in der Regel...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 453× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Informieren Sie sich über Intensivmedizin. | Foto: 2022 Tomasz Kuzminski

Infoabend am 11. Februar
Grenzen und Möglichkeiten der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht und bietet schwerstkranken Patienten Überlebenschancen, die früher undenkbar waren. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hochleistungsmedizin? Welche technischen, personellen und ethischen Herausforderungen gibt es? Besuchen Sie unseren Infoabend mit Priv.-Doz. Dr. Stephan Kurz und erfahren Sie, wie intensivmedizinische Maßnahmen Leben retten, aber auch komplexe Entscheidungen erfordern. Was geschieht, wenn Therapieoptionen ausgeschöpft...

  • Reinickendorf
  • 29.01.25
  • 1.053× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.