Standfest im Wechsel der Zeit: Bürgerrechtler erhält Bundesverdienstkreuz

Die Victoriastadt ist die berufliche und private Heimat von Michael Heinisch. | Foto: Wrobel
2Bilder
  • Die Victoriastadt ist die berufliche und private Heimat von Michael Heinisch.
  • Foto: Wrobel
  • hochgeladen von Karolina Wrobel

Lichtenberg. Am 4. Dezember wurde der Bürgerrechtler Michael Heinisch mit dem Bundesverdientskreuz für seine Verdienste um die Friedliche Revolution und die Lichtenberger Jugendarbeit geehrt.

Christian Schulz-Rudolph erinnert sich noch an das erste Zusammentreffen: "Das erste Mal, als ich Michael Heinisch begegnete, habe ich ihn zuerst übersehen." Das war Anfang der 90er, Schulz-Rudolph war damals 20 Jahre alt. Mit dem Wegfall der Mauer wurde er arbeitslos.

Wenn sich der heute 46-Jährige an die damals "wilde Zeit" der Wende erinnert, blitzt in seinen Augen die eigene Jugend wieder auf. Er war wie so viele andere junge Leute in Lichtenberg: Statt sein Haar brav zu scheiteln, frisierte er sich einen Irokesen. "Unangepasstheit – das war unsere Gegenbewegung zu der Elterngeneration in der DDR". Doch selbst unangepasste Punks brauchten ein Dach über dem Kopf, etwas zu Essen, eine Arbeit.

Durch eine ABM-Stelle kam Schulz-Rudolph in die Pfarrstraße 111. Hier haben junge Leute selbst angepackt, um das dort fast abbruchreife Haus wieder in Schuss zu kriegen. Das Projekt der evangelischen Gemeinde versprach Arbeit, Geld und nicht zuletzt eine Unterkunft. "Es hat trotzdem viele abgeschreckt. Das Haus wurde oft als ’Nazi-Zentrale’ betitelt", erinnert er sich. "Als ich das erste Mal durch die Tür trat, saßen da junge Menschen mit Hakenkreuzen auf den Armen. Es waren Skinheads, Hooligans, zwischen ihnen Punks. Und alle haben sich unheimlich aufgespielt." Irgendwann verstummte die Gruppe. "Erst dann habe ich gemerkt, dass da einer ganz ruhig mitten in der Runde saß, der das Wort ergriff." Es war Michael Heinisch. Der Bürgerrechtler und Gründer der Sozialdiakonischen Arbeit in Lichtenberg und Treptow-Köpenick gab in der Zeit des Umbruchs vielen Jugendlichen eine Orientierung. Als Wehrdienstverweigerer und Sohn eines Pfarrers wurde er schnell akzeptiert. Auch, weil er im gleichen Alter wie viele der jungen Erwachsenen war. "Ich beginne eben da, wo mich mein Gott hinstellt", sagt Michael Heinisch. Er selbst blickt nach mehr als 25 Jahren gelassen auf die Vergangenheit. Innerhalb dieser Jahrzehnte schälte sich aus dem kleinen Wohn-Projekt und dem Verein Sozialdiakonische Jugendarbeit ein sozialer Träger mit 50 Standorten und 500 Mitarbeitern heraus. Heinisch ist heute 51 Jahre alt, Kopf des sozialen Unternehmens und Herz einer Patchworkfamilie mit acht Kindern. Mit einigen Jugendlichen von damals ist er bis heute beruflich und privat verbunden. Christian Schulz-Rudolph arbeitet heute als Technischer Mitarbeiter in der Stiftung SozDia, der Heinisch vorsitzt.

Heinisch hat die Repressionen der SED-Diktatur selbst zu spüren gekriegt, war einige Nächte im Gefängnis, wurde von der Stasi bespitzelt und auch krankenhausreif geprügelt. Er prägte und nutzte die Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung während der Friedlichen Revolution, und war bei der Besetzung des Ministeriums für Staatssicherheit an der Normannenstraße dabei. Auch moderierte er ein Plenum, das im Zuge der Diskussionen um den Einigungsvertrag veranstaltet wurde. "So habe ich Joachim Gauck und Wolfgang Schäuble kennen gelernt", erinnert sich Heinisch. Das Plenum schob auch die Entstehung der Stasi-Unterlagen-Behörde an – der Pastor Gauck übernahm deren Leitung am 3. Oktober 1990.

Heute bekleidet Joachim Gauck das höchste Amt im Staat. "Ich habe hohen Respekt vor diesem Amt", sagt Michael Heinisch, der sich auf das Wiedersehen mit Gauck freut. Es ist das erste Mal seit dem Plenum in der Wendezeit. Dabei muss Heinisch doch ein wenig schmunzeln, wenn er an die unterschiedlichen Lebenswege denkt. "Gauck gehörte damals nicht zu denen, die sich eine blutige Nase geholt haben. Das waren wir." Eine spitze Bemerkung, die er ganz selbstbewusst vorträgt und das vielleicht so verstanden wissen will: Autoritätshörigkeit gehörte wohl noch nie zu seinen Charaktereigenschaften. Vielleicht ist es aber auch diese Eigenschaft, für die er mitunter am 4. Dezember mit dem Bundesverdientskreuz vom Bundespräsidenten ausgezeichnet wurde. KW

Die Victoriastadt ist die berufliche und private Heimat von Michael Heinisch. | Foto: Wrobel
Christian Schulz-Rudolph und Michael Heinisch (r.) verbindet eine gemeinsame Vergangenheit. | Foto: Wrobel
Autor:

Karolina Wrobel aus Lichtenberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Schonende Verfahren für Ihre Rückengesundheit werden am 19. März vorgestellt. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Informationen für Patienten
Minimal-Invasive Wirbelsäulenchirurgie

Leiden Sie unter anhaltenden Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenbeschwerden? Moderne minimal-invasive Operationsverfahren ermöglichen eine schonendere Behandlung mit schnelleren Genesungszeiten. Erfahren Sie mehr über innovative Therapiemöglichkeiten bei unserem Infoabend mit Dr. (Univ. Kermanshah) Kamran Yawari, Teamchefarzt des Caritas Wirbelsäulenzentrums. In seinem Vortrag erläutert er die Vorteile minimal-invasiver Wirbelsäulenchirurgie und zeigt auf, wann und für wen diese Methoden sinnvoll...

  • Reinickendorf
  • 18.02.25
  • 169× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es gibt und wie moderne Behandlungsmöglichkeiten helfen können.  | Foto: pixel-shot.com, Leonid Yastremskiy

Proktologie: Ende gut, alles gut!

Unser Darm ist mit seinen 5 bis 7 Metern Länge ein wahres Wunderwerk unseres Körpers. Doch wenn es am Ende des Darms zu Erkrankungen kommt, kann das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – auch wenn man es nicht sieht. Aus Scham werden diese Probleme oft verschwiegen, dabei gibt es in den meisten Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir laden Sie herzlich zu unserem Informationsabend ein! Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es...

  • Reinickendorf
  • 19.02.25
  • 125× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Patienten fragen
Steine in der Gallenblase – was nun?

Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem. Etwa jede fünfte Person in Europa ist betroffen, und fast die Hälfte entwickelt im Laufe des Lebens Beschwerden. Diese äußern sich meist in Form von wiederkehrenden Schmerzen, insbesondere im rechten Oberbauch. In einigen Fällen können Gallensteine zu ernsthaften Komplikationen wie einer Entzündung der Gallenblase führen. Die bevorzugte Therapie bei Beschwerden ist die operative Entfernung der Gallenblase – in der Regel...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 520× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Informieren Sie sich über Intensivmedizin. | Foto: 2022 Tomasz Kuzminski

Infoabend am 11. Februar
Grenzen und Möglichkeiten der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht und bietet schwerstkranken Patienten Überlebenschancen, die früher undenkbar waren. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hochleistungsmedizin? Welche technischen, personellen und ethischen Herausforderungen gibt es? Besuchen Sie unseren Infoabend mit Priv.-Doz. Dr. Stephan Kurz und erfahren Sie, wie intensivmedizinische Maßnahmen Leben retten, aber auch komplexe Entscheidungen erfordern. Was geschieht, wenn Therapieoptionen ausgeschöpft...

  • Reinickendorf
  • 29.01.25
  • 1.113× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.