Eine Aufführung, die den Rahmen sprengt
"Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus auf der Insel Gartenfeld

Eine siebenstündige Aufführung in und um eine alte Industriehalle erwartet das Publikum. | Foto: Sebastian Kreuzberger
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  • Eine siebenstündige Aufführung in und um eine alte Industriehalle erwartet das Publikum.
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Für den Verfasser galt das Werk als unaufführbar. Es sei "einem Marstheater zugedacht", schrieb Karl Kraus im Vorwort zu seiner tragischen Monumentalrevue "Die letzten Tage der Menschheit". So lange wollten schon in der Vergangenheit manche Regisseure nicht warten und verwerteten zumindest Teile des Epos mit seinen 220 Szenen und 1114 Rollen. Etwa die Hälfte des Gesamtumfangs und damit mehr als bei den meisten Vorläufern wird vom 20. August bis 12. September, jeweils Freitag bis Sonntag in der Belgienhalle auf der Insel Gartenfeld zu sehen sein.

Schon dieser Umfang sprengt den Rahmen normaler Theatervorstellungen. Sie beginnen jeweils um 18 Uhr und enden gegen 1 Uhr früh. Insgesamt also sieben Stunden, einschließlich etwa 40 Minuten Pause.

Bei dem Bühnenereignis handelt es sich um die erweiterte Fassung einer Inszenierung, die der österreichische Regisseur und Schauspieler Paulus Manker zum ersten Mal 2018 in einer alten Industriehalle in Wiener Neustadt gezeigt hat.

Publikum wird Teil der Dramaturgie

Bühnenereignis in der Einzahl greift ebenfalls zu kurz, denn viele Szenen werden auch auf der Insel Gartenfeld jeweils parallel aufgeführt. Die Besucher müssen sich entscheiden, was sie wann anschauen wollen. Und sie werden auch Teil der gesamten Dramaturgie, können sich im Wirtshaus verköstigen, ein Badehaus besuchen, Protagonisten über die Schulter schauen, sogar Zug fahren.

Was sich wie ein Happening anhört, ist eine Herausforderung. "Die letzten Tage der Menschheit" sind alles andere als leichte Kost. Vielmehr eine Art Bestandsaufnahme der Apokalypse.

In der Revue gibt es keine Helden

Karl Kraus (1874-1936), Wiener Journalist, Schriftsteller und zeitweise Schauspieler, hat das Werk zwischen 1915 und 1922 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs verfasst. Wie diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts entstanden und wer dafür verantwortlich ist, war sein Thema. Die Antwort darauf: Staatsmänner und Militärs haben das Unheil angerichtet – nicht ohne Zutun vieler Claqueure: Vertretern aus Bürokratie und Presse, Wissenschaft und Kunst. Kriegsbegeisterte, die, anders als die Masse der Menschen, unter dem Krieg eher weniger zu leiden hatte, die aber das Volk benebeln und aufhetzen konnten. In der mörderischen Revue gibt es deshalb auch keine Helden.

Ein Großteil der Szenen basiert auf authentischen Verlautbarungen, Zeitungsartikel, Nachrichten, gehörten oder selbst geführten Gesprächen. Gerade das sorgt für manche sprachliche Absurdität. Etwa die manchmal bis heute gängige Wendung, der Krieg sei "ausgebrochen". Er sei aber nicht wie eine Krankheit oder Seuche über die Menschen gekommen, sondern wurde von ihnen ausgelöst.

Den Verwerfungen in der Heimat ist ein Großteil des Werks gewidmet. Die Front gerät erst gegen Ende verstärkt in den Blickpunkt. Zu erreichen mit der Eisenbahn. Die meisten Szenen spielen in Wien. Aber rund ein Fünftel davon hat Kraus in Berlin angesiedelt.

Einen Bezug gibt es auch zum Ort der Aufführung. Die Belgienhalle erinnert daran, dass das neutrale Belgien 1914 durch den Einmarsch deutscher Truppen das erste Opfer des Ersten Weltkriegs wurde. Der Industriebau stammt zwar nicht aus Belgien, aber aus dieser Zeit. Sie wurde 1917 in Valenciennes in Frankreich erbeutet und auf die Insel Gartenfeld gebracht.

Die Halle wird an vier Wochenenden zum Schauplatz des wahrscheinlich voluminösesten Antikriegsstücks, das jemals geschrieben wurde und das weit über seine Zeit hinausreicht. Hinweise auf die zweite und noch größere Katastrophe des 20. Jahrhunderts finden sich ebenfalls bereits. Und das Treiben von Verschwörungstheoretikern ist auch Teil unserer Gegenwart.

Keine leichte Kost, kein billiges Vergnügen

Es ist keine leichte Kost, die angeboten wird. Und das auch noch zu einem Preis von 115 Euro pro Karte. Wer sich darauf einlässt, bekommt eine siebenstündige „Monster-Tragödie“, die – nicht nur was die Tageszeit betrifft – im Hellen beginnt und ganz dunkel endet. Und als Begleitprogramm freie Flatrate-Verpflegung, ebenso wie weitergehende Informationen in einem 100 Seiten dickem Programmbuch sowie dort enthaltenden QR-Codes.

Karten können über produktion@letztetage.com oder www.eventim.com, Telefon: 01806/57 00 70 gebucht werden. Weitere Informationen zur Aufführung gibt es unter www.letztetage.com.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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