Erinnerung an den Zitadellen-Retter
Ein Weg für Wladimir Gall
Der Weg um die Zitadelle heißt seit dem 20. Januar „Wladimir-Gall-Weg“, pünktlich dessen 100. Geburtstag. Lange Zeit war umstritten, wie des „Zitadellen-Retters“ würdig gedacht werden könne.
Die erste von zwei Enthüllungen verwies symbolisch auf den langen Weg, der in der Zitadellenstadt bis zur Ehrung von Wladimir Gall zu beschreiten war. Als Galls Urenkel Nikita und seine Enkelin Anastasia Dobrowolskaja zusammen mit Kulturstadtrat Gerhard Hanke (CDU) das Tuch von einem Wegeschild zogen, blieb ein Teil des Stoffes am Namensschild hängen. Hanke musste noch einmal in die Höhe greifen, zuletzt mit Unterstützung von Nikita, damit Wladimir Galls Name vollständig zu lesen war. Bei der zweiten Enthüllung mit Spandaus Alt-Bürgermeister Sigurd Hauff (SPD) und der Bezirksverordneten Anne Düren (parteilos, für die Linke) ging es dann etwas glatter.
Immerhin ging damit ein Weg beinahe ins Ziel, der 2011 begonnen worden war. Beinahe deswegen, weil jetzt zwar Galls Name sichtbar ist, doch was es mit ihm und der Festung auf sich hat, wissen nur diejenigen, die sich mit der Geschichte der Zitadelle befasst haben. Hanke will nun dafür sorgen, dass im Zitadellenumfeld mehr Informationen über Gall zu lesen sind.
Verhinderung eines Blutbades
2011 erreichte Spandau die traurige Nachricht, dass Wladimir Gall am 9. September verstorben war. Kennern der Zitadellen-Historie galt er als der „Zitadellen-Retter“. Der Germanist hatte am 22. Juni 1941 in Moskau im Alter von 22 Jahren sein Diplom erhalten. Unter dem Eindruck des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion meldete er sich freiwillig zum Militärdienst. Ende April 1945 stand er im Rang eines Hauptmanns und in der Funktion eines Dolmetschers vor der Zitadelle, in die sich zahlreiche Zivilisten geflüchtet hatten, in der sich aber auch Volkssturm- und Wehrmachteinheiten verschanzt hatten. Zusammen mit seinem Vorgesetzten Major Wassili Grischin sollte er die kampflose Übergabe der Festung verhandeln. Das Scheitern der Mission hätte ein Blutbad und wohl auch die weitgehende Zerstörung der Gebäude zur Folge gehabt.
Bekanntlich ging die Sache am 1. Mai gut aus, und Gall war lange Zeit der einzige, der davon berichtete. Ein filmisches Denkmal setzte der Defa-Regisseur Konrad Wolff seinem Freund und in Kriegszeiten auch Vorgesetzten Gall 1963 mit dem Film „Ich war 19“. Seit den 1980er Jahren war Gall ein gern gesehener Gast in Spandau, persönlich befreundet mit dem Bürgermeister Sigurd Hauff (SPD). Die beiden machten mit Unterstützung vieler aus Erinnerungsprojekten zur Zeitgeschichte auch einen gewichtigen und konkret fassbaren Beitrag zur deutsch-sowjetischen, später deutsch-russischen Freundschaft.
Gedenktafel nicht angemessen
Nach dem Tod von Gall entbrannte jedoch ein Streit um die angemessene Art der Erinnerung. Eine im Torbogen des Eingangs der Zitadelle angebrachte Gedenktafel erschien 2015 den Initiatoren von SPD und Grünen nicht angemessen. In den Streit mischte sich die alte, tief im Kalten Krieg verwurzelte Auseinandersetzung, ob die Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 eine Niederlage oder nicht eher eine Befreiung, nämlich vom menschenverachtenden System des Nationalsozialismus war, wie es immerhin schon 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) formuliert hatte.
Dazu kam der Versuch, die Geschichte genauer zu betrachten. Untersuchungen der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau, unterstützt von einem Zeugenaufruf im Spandauer Volksblatt, ergaben ein differenziertes Bild der Vorgänge. Danach kam es vor den Verhandlungen zum Artilleriebeschuss der Zitadelle. Die Kapitulationsverhandlungen waren gekoppelt an die Befehlsstruktur der Roten Armee. Auf deutscher Seite musste jeder Offizier, der eine Kapitulation in Betracht zog, damit rechnen, erschossen zu werden. Dass sich der Urheber dieses Führerbefehls, Adolf Hitler, Ende April mittels Selbstmord vor der Verantwortung für seine Verbrechen gedrückt hatte, war schließlich noch nicht bekannt. Das alles muss das Verdienst des Dolmetschers Gall nicht schmälern.
Tat war Ausgangspunkt
für Freundschaft
Die Wegbenennung hatten dann SPD, Linke und Grüne in der Bezirksverordnetenversammlung auf den Weg gebracht, wobei sie zunächst den direkten Weg zur Zitadelle als Teil der öffentlichen Straße Am Juliusturm im Blick hatten. Den Vorschlag, den bürokratisch leichter zu benennenden Weg in den Grünanlagen um die Zitadelle zu nehmen, hatte Kulturstadtrat Hanke gemacht. Die meisten mit der Angelegenheit Befassten dürften Kleebank darin zustimmen, dass die „historische Tat der Ausgangspunkt für Freundschaft war“. Für Galls Enkeltochter Anastasia Dobrowolskaja jedenfalls „sind wir auf dem Weg von Wladimir Gall“, deutlich sichtbar mit der Wegbenennung zum 100. Geburtstag. Sein Vermächtnis sei erst erfüllt, so die Bennungsinitiatorin Anne Düren, wenn nationalistische Ressentiments keine Macht mehr haben.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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