Neues zur Zitadellen-Kapitulation: Heimatkundler erhielten russisches Dokument

Heimatkundler Karl-Heinz Bannasch mit dem russischen Dokument. Foto: Christian Schindler | Foto: Christian Schindler
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Das Bild um die Rettung der Zitadelle am Ende des Zweiten Weltkriegs fast 73 Jahre nach den Ereignissen differenziert sich. Die Heimatkundliche Vereinigung Spandau 1954 hat über die russische Botschaft den Bericht eines sowjetischen Zeitzeugen erhalten.

Die Kapitulation der Zitadelle am Nachmittag des 1. Mai 1945 war gerade zwei Tage vorüber, da verfasste Oberst Kalashnik einen knapp sechsseitigen Bericht über die Vorkommnisse. Der sowjetische Offizier war Leiter der Politabteilung der 47. Armee, als er dem Leiter der Politverwaltung der ersten weißrussischen Front, Generalleutnant Galadzhew, Bericht erstattete.

Kalashniks Schilderung setzt am 29. April 1945 ein, als seine Soldaten „Großlautsprecheranlagen“ auffahren, über die Spandauer Bürger die Besatzung der Zitadelle auffordern, zu kapitulieren, um sich selbst, aber auch die Spandauer Zivilisten zu schonen. Eine spannende Rolle spielt der „Antifaschist Ulmer“, der „als sowjetischer Offizier verkleidet“ abends einen Brief der sowjetischen Befehlshaber an den Kommandanten der Zitadelle durch eine Schießscharte überreichte. Möglicherweise trug dieser bisher unbekannte Mann das höchste Risiko. „Was wäre, wenn ihn Soldaten als Spandauer Bürger erkannt, als Verräter bezeichnet und dann erschossen hätten?“, fragt Karl-Heinz Bannasch, Vorsitzender der Heimatkundler.

Laut Kalashnik begaben sich am 30. April jener Ulmer, der schon bekannte Major Grischin, der in Spandau aktuell bekannte und geehrte Hauptmann und Dolmetscher Wladimir Gall (von Kalashnik Instrukteur-Literat genannt) sowie der deutsche Oberst Müller-Andresen, der in Kladow in sowjetische Gefangenschaft geraten war, zur Zitadelle, um über die Kapitulation zu verhandeln. Die sowjetischen Forderungen waren zuvor festgelegt worden. Wegen des verminten Zitadellen-Tores stiegen der Zitadellen-Kommandant Professor Jung und sein Bevollmächtigter eine Strickleiter zu der sowjetischen Gruppe herab, hörten sich die Forderungen an und kehrten zu ihren Offizieren zurück. Dann kamen sie wieder, um zu berichten, dass die anderen leitenden Offiziere eine Kapitulation ablehnten.

Die von Jung bevorzugte Kapitulation hätte für ihn lebensgefährlich werden können. Nach einem Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht von 1944 hätte ein kapitulationswilliger Offizier sogar von einem einfachen Soldaten abgesetzt werden können. Erst nach diesem Geplänkel beschreibt Kalashnik jene Szene, die auch Gall berichtete: Er und Grischin klettern selbst die Leiter hinauf, um die Deutschen von der Kapitulation zu überzeugen.

Doch das gelingt nicht: Die Deutschen wollen mehrheitlich die allgemeine Kapitulation der Wehrmacht abwarten. Grischin und Gall kehrten unverrichteter Dinge zurück. Vor der Zitadelle warteten Ulmer und Oberst Müller-Andresen. Später darf Leutnant Albert Ebbinghaus die Zitadelle verlassen und sich vom Frontverlauf in deren Nähe überzeugen. Nach einigem Verhandlungswirrwarr kapituliert die Zitadelle am 1. Mai 1945 um 15 Uhr.

Zurzeit befindet sich im Geschäftsgang der Bezirksverordnetenversammlung ein Mehrheitsantrag von SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen, nachdem die Benennung des von der Straße Am Juliusturm direkt zur Zitadelle führenden Weges nach dem 2011 verstorbenen Wladimir Gall geprüft werden soll. Gall war lange Zeit der einzige, der von der Kapitulation der Zitadelle Zeugnis ablegte. Die ihm dabei zugewachsene Heldenrolle nahm er gerne an. Nach dem jetzt vorliegenden Bericht eines führenden sowjetischen Offiziers und weiterer Forschungen der Heimatkundler entsteht eher das Bild, dass Gall das Risiko trug, das eben Soldaten in jedem Krieg tragen müssen. Die eigentliche Kapitulation der Zitadelle und damit auch ihre Bewahrung für die Nachwelt wurde offenbar von weit höheren Befehlsebenen in der militärischen Hierarchie gesteuert.

Gall eher für seine Völkerverständigung ehren

„Gall sollte vielleicht eher für sein späteres völkerverständigendes Wirken mit seinen Besuchen in Spandau geehrt werden“, sagt Bannasch, und wundert sich, dass sich genau dieser Vorschlag auch in einem Dokument zur Vorbereitung der Bezirksamtsentscheidung findet. Dort beruft man sich auf den Potsdamer Historiker Markus Falk. Dieser hatte im Auftrag der Heimatkundler versucht, mehr Licht ins Dunkel um die Vorgänge von 1945 zu bringen. In der internen „Einschätzung zur Straßenumbenennung nach Wladimir Gall“ wird der Auftrag der Heimatkundler nicht erwähnt, die im vergangenen Jahr die Zitadelle verlassen und ihr Archiv in Brandenburg einlagern mussten.

Autor:

Christian Schindler aus Reinickendorf

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