Wohnungsbau verdrängt Gewerbetreibende an Rhenaniastraße
„Ohne Alternative sind wir weg vom Markt“
Abseits vom Lärm liegt das Gewerbegebiet an der Rhenaniastraße 35. Kaum einer weiß, dass es dort viele Arbeitsplätze gibt, an denen noch in echter Handarbeit gewerkelt, getüftelt, konzipiert und produziert wird. Ende 2019 soll damit Schluss sein.
Die 17 Gewerbemieter haben die Kündigung erhalten. Statt zu arbeiten soll an der Rhenaniastraße künftig gewohnt werden. Denn auf dem landeseigenen Grundstück beginnt die Gewobag im Auftrag des Senat ab 2022 mit dem Bau von rund 900 Wohnungen, Kita und Gymnasium. Das Projekt ist der letzte Bauabschnitt für das neue Wohnquartier „Waterkant“ in der Wasserstadt. Bevor es dort losgeht, muss das Baufeld aber erst noch von Altlasten befreit und saniert werden, denn das Areal wurde erst von der Königlichen Pulverfabrik und dann von der „Vacuumschmelze“ genutzt.
Befürchtet haben es Walter Lang, Thorsten Schwemmler und die anderen Mieter schon lange vor ihren Kündigungen. Spätestens seit im Frühjahr 2018 geschäftige Anzugträger über das Gelände stiefelten, fotografierten und sich Notizen machten. „Mit uns gesprochen hat bei diesen Rundgängen allerdings niemand“, sagt Walter Lang, der Gartenmöbel verkauft. Mit seinem Familienbetrieb war er vor 25 Jahren der erste Mieter. Jetzt bangen er und seine Frau um ihre Existenz. „In meinem Alter kann ich nicht irgendwo neu anfangen.“ Auch Tischlermeister Thorsten Schwemmler ist besorgt. 2010 zog er mit „stephan möbel Design & Handwerk“ an die Rhenaniastraße, hat rund 100 000 Euro investiert. „Ein Umzug und Neuanfang sind für mich nicht so einfach“, sagt Schwemmler. Zum einen wegen der günstigen Mieten, die hier bei drei bis fünf Euro pro Quadratmeter liegen. Anderswo in Berlin gehen die Gewerbemieten erst bei zehn Euro los. Das aber kann sich der Tischler trotz dickem Auftragsbuch bei einer Fläche von jetzt 628 Quadratmetern nicht leisten. Und so viel Platz braucht die Werkstatt, denn Schwemmler arbeitet mit schweren Maschinen. Hinzu kommt, dass er bei einem Standortwechsel wahrscheinlich seine Mitarbeiter verlieren würde. „Die meisten sind Spandauer, ob die dann mitkommen, wenn ich zum Beispiel ins Umland ziehe, weiß ich nicht.“ Auch Walter Lang braucht für seine Gartenmöbel rund 800 Quadratmeter – und die sind in Berlin kaum zu finden. „An leer stehende Getränkemärkte oder Supermärkte kommt man nicht ran, die gehören alle Immobilienfirmen.“
"Auch Gewerbe
muss arbeiten können"
Dem Imkereifachhandel, der Wohnmobil-Werkstatt, dem „MTT Ingenieurbüro“, dem „Schweiß-Salon“, dem Architekturmodellbauer Rüdiger Hammerschmidt, dem Tischlereibetrieb von Jens Schumacher, der „The Top Craftsmen Ltd. Company“ von Michael Meyer-Dommert und dem BMW Motorrad-Hauptstadtclub geht es genauso. Sie alle werden verdrängt und wissen nicht wohin. „Wohnungsbau ist ja wichtig. Aber Gewerbe muss auch arbeiten können“, sagt Rüdiger Hammerschmidt. „Wir sind seit zehn Jahren hier“, berichtet Jens Schumacher. „Wenn wir nichts finden, muss ich acht Mitarbeitern kündigen. Dabei brauche ich eigentlich mehr Leute.“ Aufgeben will auch Marco Skala nicht. „Wir sind Berlins größter Imkereifachhandel. Zu uns kommen Kunden aus New York und Hawai.“
Die Gewerbetreibenden haben sich mittlerweile an jeden gewandt, der ihnen helfen könnte. Mit mäßigem Erfolg. Sie haben Briefe geschrieben an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Wirtschaftssenatorin Ramona Popp (Grüne), aber keine Antwort bekommen. „Warum hat man uns bei dem Wohnungsbauprojekt nicht mitgeplant“, wollen die Gewerbetreibenden vom Senat wissen. Auch die Spandauer Wirtschaftsförderung haben sie eingeschaltet. Wirtschaftsstadtrat Gerhard Hanke (CDU) hat Michael Müller und die Senatorinnen Anfang Februar in einem Brief aufgefordert, die Planungen für den Gewerbestandort zu überdenken und dort gemeinsam mit dem Bezirk einen Gewerbehof zu entwickeln. Dafür hat sich obendrein der Wirtschaftssausschuss der BVV ausgesprochen.
Runder Tisch im April
Mit dem Spandauer Abgeordneten Daniel Buchholz und dem Bundestagsabgeordneten Swen Schulz (beide SPD) waren auch Politiker bei den Gewerbetreibenden. „Möglich wäre, das Gewerbegebiet zu verkleinern und so zu erhalten, denn es liegt am Rande des neuen Wohngebiets“, sagt Daniel Buchholz. Dafür müsste das Areal allerdings ein Mischgebiet bleiben und nicht wie geplant zum allgemeinen Wohngebiet umgewidmet werden. „Wir werden versuchen, das beim Senat durchzusetzen“, kündigen Schulz und Buchholz an. Dazu wollen sie im April einen Runden Tisch organisieren, an dem Senat, Gewobag, Bezirksamt und die Gewerbetreibenden gemeinsam sitzen. „Es muss in Berlin auch bezahlbare Flächen für Gewerbe geben“, sagt Buchholz.
Doch die werden selbst an der Peripherie immer weniger. Auch die gekündigten Gewerbetreibenden auf dem Gelände der früheren Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne haben in Spandau keine adäquaten Flächen gefunden. „Wir haben keine landeseigenen Flächen mehr, die wir Gewerbetreibenden in der entsprechenden Größe und zu günstigen Preisen anbieten könnten“, sagt Patrick Sellerie, Leiter der Spandauer Wirtschaftsförderung. Die wenigen freien Grundstücke wie etwa am Brunsbütteler Damm sind dem produzierenden Gewerbe vorbehalten. „Und bei privaten Flächen können wir als Bezirksamt nur vermitteln.“ Vorhandene Gewerbegebiete wie das „Alexander-Barracks-Areal“ an der Neuendorfer Straße haben kaum noch Platz. Dort lässt das Bezirksamt gerade eine Machbarkeitsstudie zu künftigen Entwicklung des Gewerbestandortes erstellen.
Ein Gewerbepark wie in Adlershof als Lösung?
Für die Gewerbetreibenden aus der Rhenaniastraße kommt das zu spät. Patrick Sellerie sieht deshalb nur zwei Chancen: „Entweder verzichtet der Senat an der Rhenaniastraße auf einen Teil der Wohnungen zugunsten des Bestandsgewerbes. Danach sieht es bisher aber nicht aus, obwohl wir schon 2016 darauf hingewiesen haben.“ Oder es entsteht mit Senatsmitteln ein größerer Gewerbepark in Spandau ähnlich dem in Adlershof. Machbar wäre das in Haselhorst, sagt Patrick Sellerie. Das wird intern aber noch abgestimmt.
Derweil drängt für die Mieter an der Rhenaniastraße die Zeit. „Wir brauchen jetzt eine Lösung“, sagt Thorsten Schwemmler. Walter Lang wird deutlicher: „Ohne Ersatzstandort haben wir keine Einkünfte mehr. Dann sind wir weg vom Markt.“
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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