Spandau kommt groß raus! Ein besonderer Bezirk mit vielen Facetten
Es ist schon etwas sonderbar mit dem Bezirk Spandau von Berlin. Andere Berliner und manch Einheimischer beschreiben die Havelstadt oft so, als wenn es sich um ein idyllisches Städtchen mit ein paar Tausend Einwohnern handelt.
Und wenn man auf dem Spandauer Markt in der Altstadt die Geschäftsleute, die Angestellten und die Ärzte beobachtet, wie sie sich und ihre Kunden oft noch per Handschlag oder gar mit Vornamen begrüßen, dann könnte man wirklich den Eindruck gewinnen, dass hier ein wenig die Zeit stehen geblieben ist. Hat sich nicht der inzwischen verstorbene Bürgermeister Konrad Birkholz selbst gerne als „Dorfschulze“ bezeichnet? Stellt man sich allerdings vor das Rathaus oder den Bahnhof, dann bekommt man in dem allgemeinen Trubel und Gebrause der Großstadt schnell etwas ganz anderes serviert: Fast eine viertel Million Menschen leben im fünften Berliner Verwaltungsbezirk und das sind so viele, wie in großen regionalen Zentren, vergleichbar Halle oder Aachen.
Wirtschaft im Fokus
Wenn man sich heute die Frage stellt, "Kommt Spandau groß raus?", wird man sich der Antwort differenziert nähern müssen. Denn diese „Stadt/Bezirk/Region“ mit neun Ortsteilen hat viele Gesichter. Wir wollen uns auf den wirtschaftlichen Aspekt beschränken. Denn es ist ja nun einmal so, dass auch nur dort Bildung, Kultur und Sport blühen, wo es auch eine materielle Grundlage gibt.
Dazu erst ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Nach den auch in Spandau verheerenden Zerstörungen des letzten Krieges und den schwierigen Jahren des Wiederaufbaus konnte sich der Westteil Berlins und insbesondere Spandau wirtschaftlicher Prosperität erfreuen. Gewaltige Summen flossen aus Westdeutschland nach Berlin, um den von den Sozialisten eingemauerten Stadtstaat als einen Leuchtturm des Westens zu subventionieren. Insbesondere in Spandau gab es riesige industrielle Wirtschaftszweige, die von der Berlinförderung als „verlängerte Werkbank“ des Bundesgebiets am Leben gehalten wurden. Spandau war (und ist) der größte Industriebezirk Berlins. Trotz Havelstrand, Wäldern und Feldern. Selbst in den traditionell weniger wohlhabenden Ortsteilen des Bezirks, der bis in die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts eine eigenständige Stadt war, lebten viele wohlhabende Fach- und Industriearbeiter.
Schnitt nach dem Mauerfall
Mit dem Mauerfall und dem Wegfall der Subventionen entfielen auch viele der industriellen Arbeitsplätze. Das bedeutete nach der ersten Wiedervereinigungseuphorie teilweisen Niedergang, Abwanderung von Wirtschaftskraft und viele soziale Probleme. Nicht nur in den alten Ortsteilen, sondern auch in den großen Neubaugebieten am Spandauer Stadtrand. Viele alteingesessener Bewohner wurden arbeitslos, zogen weg und viele Emigranten sind bis heute oft noch nicht richtig integriert. Trotz zahlloser Bemühungen der verantwortlichen Lokalpolitiker und vieler engagierter Menschen lassen sich solche Probleme nicht allein vor Ort lösen.
Aber inzwischen ist der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre auch am Berliner Stadtrand angekommen. Viele neue Arbeitsplätze sind entstanden, viele Firmen haben sich neu angesiedelt. Im Gegensatz zu vielen Innenstadtbezirken kann Spandau immer noch mit freien Gewerbeflächen punkten. Und es gibt auch noch Platz für ganz erhebliche Neubauprojekte. Man spricht von bis zu 10 000 neuen Wohnungen, die in Spandau entstehen sollen. Das ist auch besonders wichtig, denn der Berlinboom der letzten Jahre hat zu einer starken Verknappung des Angebots auf dem Wohnungsmarkt geführt. Auch in den Außenbezirken Berlins sind die Mieten und Preise für Wohneigentum zuletzt drastisch angestiegen oder es ist kaum noch möglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Manch ein Makler, der jahrelang nur im Internet seine Angebote eingestellt hat, kehrt nun wieder zur klassischen Zeitungsanzeige zurück, um dadurch Objekte zum Vermarkten einzuwerben.
Wohin geht der Trend?
Hier, im Spandauer Volksblatt, haben die Mitarbeiter der Redaktion und des Anzeigenverkaufs täglich mit sehr vielen Gewerbetreibenden der unterschiedlichsten Branchen zu tun. Deshalb haben wir einen guten Einblick. Wohin geht nun der Trend? Welche Branchen entwickeln sich stark? Wo geht es eher verhalten zu? Wo gibt es besondere Probleme?
Fangen wir einmal bei den ganz großen Industriebetrieben an. Viele Namen, die früher einen besonderen Klang hatten, produzieren heute nicht mehr oder nur noch wenig im klassischen, industriellen Umfang. Da wären zum Beispiel Ohrenstein & Koppel, aber auch Siemens zu nennen. Auch bei Osram geht es heute mehr um Hightech als um die massenhafte Produktion von Glühbirnen. Das BMW Motorrad Werk ist weiterhin ein gewaltiger industrielle Komplex, der von Spandau aus für den Weltmarkt produziert. Aber wenn man vielleicht einmal von den Bausch & Lomb Pharmawerken absieht, dann scheinen die ganz großen Namen ansonsten in Spandau rar gesät.
Innovative Firmen
Der erste Eindruck täuscht! Mit der Firma Contag hat Spandau seit vielen Jahren einen Leiterplattenproduzenten erster Klasse. Trans Radio Sendersysteme, etwas versteckt in Hakenfelde, produziert Funkanlagen und Senderstationen für die ganze Welt auf allerhöchstem Niveau. E-shelter Deutschland betreibt hinter dem Finanzamt an der Nonnendammallee eines der gewaltigsten Rechenzentren, einen riesigen Serverpark, von dem die wenigsten wissen, dass er in Spandau existiert. Dass in Spandau große Teile der Berliner Stromproduktion, der Müllentsorgung, der Wasserversorgung, Wasserreinigung und der Kraftstoffbevorratung in Ruhleben angesiedelt sind, kann man links und rechts der Straße Freiheit mit eigenen Augen sehen. Aber hier wie auch in den anderen Industriegebieten gilt: Man sollte einmal die vielen kleinen verschlungenen Straßen und Sträßchen abfahren, die Firmenschilder studieren und staunen. Zahllos ist das produzierende Groß- bis Kleingewerbe. Am Wiesendamm hat sich in den letzten Jahren kurz vor der Bezirksgrenze nach Charlottenburg ein riesiges Baustoff-Recycling-Unternehmen angesiedelt. Die Firma Luna, die schon jetzt berlinweit Schulen und Kindertagesstätten mit hochwertigem Mensaessen versorgt, baut ebenfalls gerade an der Freiheit. Die Firma Wild produziert auf höchstem Niveau Aromen für die Lebensmittelindustrie weltweit. Auf dem Gelände des Holzkontors Preußen am Sophienwerderweg wird eine der bundesweit leistungsstärksten Gebrauchtholzaufbereitungsanlagen mit einer Kapazität von 300 000 Tonnen pro Jahr betrieben. Man traut kaum seinen Augen, wenn man von der Straße aus die Holzgebirge sieht. Beeindruckend ist dort das Umschlagen großer Mengen per Schiff und Lkw. Von der Lage am Wasser sind auch Standorte wie die riesige Schüttmühle Berlin und die Betonmischwerke am Schlangengraben abhängig.
Kuriose Lage
Kurios auch, was es alles an Firmen zwischen der Straße am Juliusturm/Nonnendammallee und der Spree mit ihren Altarmen gibt oder sich neu angesiedelt hat. Und das teilweise auf Laubengelände! Und schließlich sind insbesondere in West Staaken und in Siemensstadt (ehemalige Siemensgelände am Wohlrabedamm) in den letzten Jahren gleich mehrere große neue Gewerbegebiete mit riesigen Hallen und Verwaltungsgebäuden entstanden. Hier finden sich zahlreiche bekannte, internationale und Berliner Firmennamen. Darunter auch viele Hightech-Unternehmen.
Allerdings muss man auch feststellen, dass die Welt größer geworden ist. Ein Unternehmen, das früher seinen Sitz in Spandau hatte, hat sich irgendwann eben auch als ein Spandauer Unternehmen verstanden. Die Chefs – so auch Zeitungsgründer Erich Lezinsky – trafen sich dann häufig schon vormittags in einer Gastwirtschaft am Hafenplatz und besprachen bei „Molle und Korn“ die wichtigen Geschäfte. Als die U-Bahn nach Ruhleben fertiggestellt war, riefen Spandauer Kaufleute besorgt: „Spandauer, kauft bei Spandauern!“
Ein Hauch von Lokalpatriotismus
Und noch heute schmückt beispielsweise das Betriebsgelände der DEUTAG an der Freiheit/Ecke Schlangengraben ein großes Spandauwappen aus farbigen Pflastersteinen. Solchen Lokalpatriotismus findet man nicht mehr oft. Manch ein Unternehmen hat sich hier eben nur deshalb angesiedelt, weil es einen geeigneten Standort gab. Lokalpatriotismus, immer noch ein knallharter Standortvorteil, braucht aber Zeit, bis er sich entwickelt. Das gilt für den zugewanderten Menschen aus aller Welt ebenso wie für Firmen. Das mag man als alter Spandauer bedauern, aber so ist nun einmal der Gang der Dinge.
Selbst die bisherige Aufzählung beschreibt nur einen winzigen Teil dessen, was sich in den letzten Jahren in der Spandauer Wirtschaft neu entwickelt oder erhalten hat. Ganz zu schweigen von den zahllosen Selbstständigen oder Kleinunternehmen, die hier ansässig sind. Dazu der Handel: In Altstadtnähe und in Haselhorst sind neue Einkaufszentrum entstanden, in Siemensstadt wird gerade eines der ältesten in Deutschland modernisiert. In Kladow entstand ein Einkaufszentrum, das sich recht harmonisch in die eher ländliche Atmosphäre einpasst und rege angenommen wird.
Familienbetriebe und Filialisten
Und auch das Staaken-Center in der Obstallee ist zu einem echten Mittelpunkt geworden. Besonders die Möbelbranche und Baumärkte für die wachsende Bevölkerung sind in Spandau stark vertreten. Die Leser dunserer Zeitungen bemerken das jede Woche, wenn die vielen verschiedenen Firmen in Prospekten und Anzeigen um die Gunst der Kunden werben. Da gibt es nach wie vor Familienbetriebe wie auch die Filialen von ganz großen Playern.
Die Vereinigung Wirtschaftshof Spandau ist die bekannteste Repräsentanz der Spandauer Wirtschaft und all dieser Firmen. Und selbst dieser traditionsreiche Verein, der an Geschichte und Engagement in Berlin seinesgleichen sucht, repräsentiert nur einen Teil der vielen hier ansässigen Firmen. Schwerpunktmäßig begleitet der Wirtschaftshof in den letzten Jahren unter anderem die Gesundheitswirtschaft.
Boomende Gesundheitsbranche
Spandau ist nicht nur Standort für einige der bekanntesten Berliner Kliniken (Waldkrankenhaus, Vivantes, Havelhöhe, Havelklinik und andere), sondern beherbergt auch zahllose große und kleine Einrichtungen der Pflege. In dieser Aufzählung darf das Evangelische Johannesstift, eine der größten diakonischen Einrichtungen Deutschlands mit einem eigenen kleinen Stadtteil im Wald, nicht fehlen.
So initiierte der Wirtschaftshof das Spandauer Netzwerk Gesundheit, welches sich derzeit u.a. um den massiven Mangel an Arbeitskräften in der Pflege- und Gesundheitsbranche kümmern muss. Nur ein Beispiel dazu aus dem Arbeitsalltag in der Anzeigenabteilung das Spandauer Volksblattes: Von fast 60 Kunden aus dem Bereich Pflegedienst wirbt kaum noch einer für seine eigentliche Dienstleistung. Es werden fast nur Stellenanzeigen geschaltet. Eine besorgniserregende Entwicklung. Ein Abbrechen der Wertschöpfungskette und eine Bedrohung für immer mehr pflegebedürftige Menschen. Aber vielleicht auch ein Anlass für manch einen, der bisher noch nicht die richtige Motivation hatte, sich in diesem Berufsfeld einen Job zu suchen.
Wo bleibt die Hochschule?
Der Wirtschaftshof betreibt aber auch einen Wochenmarkt und entwickelt zukunftsweisende Ideen, selbst wenn deren Umsetzung möglicherweise noch viele Jahre dauern wird. Die Ansiedlung einer Hochschule oder gar einer Universität ist zuletzt ins Stocken geraten. Aber wenn man solche Projekte nicht einmal anstößt, dann wird auch nie etwas geschehen. Es ist weiterhin ein absurder Zustand, dass der Industriebezirk Spandau in der großen Universitätslandschaft Berlin keinen einzigen Hochschulstandort hat. So etwas bringt junge Menschen und viel Innovation. Damit entstehen Kultur, weitere Gastronomie und ein positives Lebensgefühl. Zum Vergleich: Im ehedem armen Moabit West hat sich in den letzten Jahren eine vielfältige Gründerszene entwickelt. Viele Unternehmen sind Ausgründungen aus der nahen Technischen Universität. Man kann nur hoffen, dass solche Bemühungen in und für Spandau bald von Erfolg gekrönt sein werden. Bei den privaten Schulen ist dies schon gelungen. Eine große internationale Schule, teils für Diplomatenkinder aus ganz Berlin, hat sich in Staaken etabliert. Ebenso die engagierten verschiedenen Schulzweige der Wilhelmstadt Schulen der Organisation TÜSDEB. Und die staatlichen Schulen versuchen den Anschluss nicht zu verpassen.
Gastronomie von A bis Z
Die Spandauer Gastronomie braucht sich auch heute schon nicht zu verstecken. Hotels, früher in Außenbezirken eher selten, gibt es in Spandau nun reichlich. Spandau hat keine richtige Nachtschwärmermeile wie das in Mitte, Prenzlauer Berg oder anderswo der Fall ist. Aber alleine das, was sich in den letzten Jahren an Kneipenszene in der Wilhelmstadt getan hat, die zuvor viele Fachgeschäfte verloren hat, ist bemerkenswert. Und so gibt es an vielen verschiedenen Stellen im Bezirk gastronomische Leuchttürme, vor allem auch am Wasser. Mit den Konzerten in der Zitadelle werden fast wöchentlich Tausende von Besuchern in die Havelstadt gelockt.
Das Spandauer Volksblatt, die Berliner Woche und viele andere Zeitungen für ganz Berlin werden in der Axel Springer Großdruckerei am Brunsbütteler Damm produziert. Die Flexibilität dieser Großdruckerei erlaubt viele Neuerungen in der Seiten- und Umfangplanung, die anderswo nicht möglich sind. Das sichert Anzeigen- und Beilagenaufträge und das Erscheinen der Wochenzeitungen.
Seit über 70 Jahren für Sie da
Insbesondere in Spandau ist die lokale Wochenzeitung (früher als Tageszeitung, über 70 Jahre am Markt!) zu einem integrierenden Faktor und einem echten Standortvorteil geworden. Es ist also oft nichts mit dem Kleinstadtidyll, mit dem Spandau oft in Zusammenhang gebracht wird. Der altehrwürdige Bezirk – als Stadt älter als Berlin – beherbergt das, was der große österreichische Romancier Heimito von Doderer einmal als die „Ernstfallgegenden einer Metropole“ nannte.
Aber erfreulicherweise nicht nur die, sondern auch wunderschöne märkische Landschaft, Sport, vornehme und weniger vornehme Wohnquartiere und eine ganze Menge netter und fleißiger Menschen. Bleibt uns also zum Abschluss nur, an den traditionsreichen Leitspruch zu erinnern: „Hie guet Spandow allewege“. Und wir gehen mit!
Olaf Lezinsky
Autor:Olaf Lezinsky aus Spandau |
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