Die Nerven liegen blank
Interview mit Arche-Gründer Bernd Siggelkow über die Lage von Familien in Hellersdorf

Arche-Gründer Bernd Siggelkow sorgt sich um die Einsamkeit von Familien in der Corona-Krise | Foto: hari
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Die Arche-Kinderstiftung versorgt während der Corona-Krise Familien mit Essen. Berliner-Woche-Reporter Harald Ritter sprach mit dem Arche-Gründer Bernd Siggelkow.

Herr Siggelkow, Sie sind in diesen Tagen und Wochen ständig in Hellersdorf unterwegs. Wie erleben Sie die Großsiedlung, was sehen Sie?

Bernd Siggelkow: Not und Dankbarkeit. Wir haben die Essensversorgung für die Kinder in unserer Arche auf eine Notversorgung für ganze Familien umgestellt. Die Familien, die wir mit Nahrungsmittelpaketen beliefern, haben sonst kaum das Geld für das Nötigste. Wenn das Essen für die Kinder wegfällt, reicht es in den Familien einfach nicht mehr.

Was befindet sich in den Nahrungsmittelpakenten, die Sie ausliefern?

Bernd Siggelkow: Dosen, Brot, Marmelade, Eier. Das, was Menschen zum alltäglichen Leben brauchen. Dazu gehören natürlich Hygieneprodukte, etwa Zahnpasta oder Zahnbürsten. Jede Lieferung umfasst einen Wert von rund 30 Euro im Durchschnitt. Die Lieferung hängt natürlich von der Familiengröße ab.

An wie viele Familien gehen solche Versorgungspakete?

Bernd Siggelkow: Allein in Marzahn-Hellersdorf sind das momentan über 200 Familien, die wir zweimal in der Woche beliefern. In ganz Deutschland sind das an unseren Arche-Standorten rund 1300 Familien. Wenn die Krise länger dauert, könnten wir im Bezirk die Hilfe wahrscheinlich noch etwas aufstocken, um etwa 50 bis 60 Familien.

Wie schaffen Sie das? Wo kommt das Geld für die Spenden her?

Bernd Siggelkow: Wir haben eine Reihe von Großspendern. Es gibt aber auch viele Menschen, die direkt Nahrungsmittel zu uns bringen oder solche abholen lassen. Wir sind auch dankbar, wenn jemand, der nicht mehr hat, einfach zwei Suppendosen gibt.

Wie organisieren Sie die Belieferung?

Bernd Siggelkow: Wir fahren die Spenden mit wenigen Kräften aus. Die meisten Mitarbeiter unserer Zentrale in Hellersdorf musste ich ins Home Office schicken. Die müssen die Arbeit in unseren insgesamt 25 Standorten koordinieren. Die anderen Standorte sind zwar auch alle geschlossen, organisieren aber Hilfen für Familien wie wir hier. Wir anderen sind ständig unterwegs, um Spenden zu abzuholen oder zu liefern. Deshalb sind wir für jeden Freiwilligen dankbar, der sich uns anschließt.

Wie ist die Situation in den Familien?

Bernd Siggelkow: Bei vielen angespannt. Den Menschen fällt die Decke auf den Kopf. Wir betreuen besonders viele Familien, die als kinderreich gelten. Nicht selten sind die Mütter alleinerziehend. Stellen Sie sich vor, was in einer solchen Familie mit drei, vier oder mehr Kindern in solch einer Situation abgeht, in einer Plattenbauwohnung, vielleicht mit Balkon, aber ohne Garten. Die Spielplätze sind geschlossen. Kürzlich erhielt ich eine Mail von einem Mädchen. Das schrieb mir darin sinngemäß, dass es niemals geglaubt habe, die Schule zu vermissen. Inzwischen sei es aber soweit und es sehne sich nach Ablenkung, seinen Mitschülern, seinen Kameraden.

Wie lange kann das so noch gut gehen?

Bernd Siggelkow: Nicht sehr lange. Wenn die Corona-Maßnahmen über die Osterferien, über den April hinaus anhalten, werden wir verstärkt von Gewalt in Familien hören. Die Nerven liegen jetzt schon blank.

Wie stark wird die Corona-Krise auch ihre Arbeit verändern?

Bernd Siggelkow: Momentan sehe ich zwei Tendenzen. Viele von denen, die eher an sich denken, werden noch egoistischer. Andererseits hat die Krise auch eine Welle von Mitgefühl, von Mitmenschlichkeit und gegenseitigem Verständnis ausgelöst. Auf die letztgenannte Tendenz ist zu hoffen.

Autor:

Harald Ritter aus Marzahn

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