Streit um das Zweckentfremdungsverbot
Der Verein Kinderhilfe soll 40.000 Euro an das Bezirksamt Reinickendorf nachzahlen
„Der Bezirk Reinickendorf will Spenden zugunsten krebskranker Kinder einziehen“. So titelte der Verein Kinderhilfe eine Pressemitteilung. Was als lokaler Konflikt begann, ist inzwischen ein Streit zwischen dem Bezirk und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung um das Zweckentfremdungsverbotsgesetz.
Ende Januar hat das Reinickendorfer Wohnungsamt den Verein Kinderhilfe zur Nachzahlung von gut 42 000 Euro aufgefordert. Zudem sei ab sofort eine Ausgleichszahlung von monatlich rund 1800 Euro fällig. Dabei geht es um eine Immobilie des Vereins in Alt-Hermsdorf, das „Barbara-Schulz-Haus“. Sie wurde im August 2021 gekauft und nach der 2020 verstorbenen Frau des Vereinsmitbegründers Jürgen Schulz benannt.
Der Kinderhilfe e.V. bildet darin nach eigenen Angaben ehrenamtliche Helfer aus. Zudem diene das Haus als Treffpunkt von Trauergruppen, es fänden Kochkurse für Ernährung mit Krebs, Veranstaltungen von und mit Familien, Weihnachtsfeiern, Halloween oder Grillnachmittage statt. Der Kauf der Immobilie sei mit Spendengeldern finanziert worden. Allerdings handelt es sich bei dem Objekt um ein Einfamilienhaus. Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz (ZwVbG) verbietet die zweckfremde Nutzung von Wohnraum.
Aus Sicht des Wohnungsamtes lag mit dem neuen Zweck als soziale Einrichtung eine solche Zweckentfremdung vor. Im Jahr 2022 wurde der Kinderhilfe mitgeteilt, dass ein entsprechendes Verfahren laufe. „Denn – so das Wohnungsamt – eigentlich dürfe das Haus nur ‚privat‘ genutzt werden und nicht für krebskranke Kinder und deren Familien“, erklärte die Kinderhilfe.
Um die soziale Einrichtung erhalten zu können, stellte der Verein einen Antrag auf zweckfremde Nutzung, was vom Bezirksamt auch genehmigt wurde. Zugleich erhob es allerdings die Nachzahlungs- und Ausgleichszahlungsforderung. Eine andere Entscheidung sei nicht möglich gewesen, erklärte das Bezirksamt. Nach dem Streichen eines entsprechenden Passus in der Zweckentfremdungsverbotsverordnung könne es keine Ausnahmen von der Ausgleichsabgabe mehr für soziale Träger geben, es sei denn, es läge ein Härtefall vor. Dies konnte der Bezirk bei einer Prüftung nicht feststellen. Es gelte deshalb „Gleiches Recht für die Kinderhilfe e.V.“
Die Geldforderungen würden den Verein zwar nicht in die Pleite treiben, aber zu Einschränkungen führen, erklärte Kinderhilfe-Geschäftsführer Jannis Wlachojiannis. Angebote, die bisher durch Spenden finanziert wurden, könnten nicht mehr stattfinden, weil die Mittel anderweitig benötigt werden. „Statt uns in unserer wertvollen Arbeit zu unterstützen, versucht das Bezirksamt unsere Spendengelder auf diesem Weg einzuziehen“, hieß es in der Mitteilung des Vereins. Sollte die Forderung nicht rückgängig gemacht werden, „sehen wir uns gezwungen, das Barbara-Schulz-Haus zu schließen und in einen anderen Bezirk zu verlagern.“ Er hoffe aber, dass ein Kompromiss noch möglich sei, mit dem beide Seiten leben könnten, erklärte Jannis Wlachojiannis im Gespräch mit der Berliner Woche. Es gehe auch nicht um Bevorzugung, sondern um eine faire Behandlung. Und Vereine sollten bei einer Zweckentfremdung anders bewertet werden als kommerzielle Nutzer.
Auf diesen Passus in der alten Zweckentfremdungsverbotsverordnung, wies Bürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) hin und fordert von der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu diesem ehemaligen Ausnahmetatbestand zurückzukehren. Bis November 2018 galt unter Paragraf 4, Absatz 2, Ziffer 2, dass bei Bestehen eines vorrangigen öffentlichen Interesses eine Ausgleichszahlung entfällt. Nach den Ausführungsvorschriften fielen darunter auch soziale Einrichtungen. Die Regelung sei von der damals amtierenden Senatorin Katrin Lompscher (Linke) ersatzlos gestrichen worden. Die alte oder eine vergleichbare Regelung solle wiedereingeführt werden, fordert das Bezirksamt.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schiebt die Verantwortung allerdings zurück in den Bezirk. Die Aussagen in der Pressemitteilung des Bezirksamtes Reinickendorf seien nicht nachzuvollziehen. „Sie treffen nicht zu“, hieß es auf Nachfrage der Berliner Woche. „Die Ausgleichszahlung kann im Einzelfall vom zuständigen Bezirksamt auf Antrag oder von Amts wegen abgesenkt oder es kann ein Verzicht erklärt werden, insbesondere wenn bei gewerblicher oder freiberuflicher Nutzung die Festsetzung einer Ausgleichszahlung in voller Höhe nachweislich zu einer Existenzgefährdung führen würde.“ Auf dieser Grundlage könne das Bezirksamt „nach pflichtgemäßem Ermessen“ handeln, erklärte die Senatsverwaltung.
Eine mögliche weitere Handhabe biete nach ihrer Ansicht auch noch der Paragraf 3, wo es um eine mögliche Genehmigungsfreiheit für bestimmte Sozialeinrichtungen gehe. „Weder das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz noch die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung müssen geändert werden, um eine Entscheidung des Bezirksamts Reinickendorf zugunsten der Kinderhilfe e.V. zu ermöglichen“.
Die Kinderhilfe hat inzwischen gegen das Vorgehen des Bezirksamtes Reinickendorf Widerspruch eingelegt. Dieser werde so lange ruhen, kündigte Emine Demirbüken-Wegner an, „bis eine Antwort vom Senator Gaebler vorliegt.“ Bis der Widerspruch beschieden sei, werde keine Ausgleichszahlung fällig.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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