Ein Verkehrsproblem und das Zusammenwachsen
Einheit oder neue Grenze?
Am 3. Oktober feiern wir den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Die vergangenen drei Jahrzehnte haben vieles in den Hintergrund gerückt, was zuvor, fast ebenso lange, schreckliche Normalität war. Wo einst die Mauer verlief, lässt sich heute, trotz vorhandener Markierung, oft nur noch mit einiger Phantasie rekonstruieren.
Das gilt auch für die Oranienburger Chaussee, die einst auf einem Abschnitt von über einem Kilometer die tödliche Grenze zwischen dem Bezirk Reinickendorf, konkret seiner Ortsteile Hermsdorf und Frohnau, sowie der DDR-Gemeinde Glienicke/Nordbahn bildete. Ebenso wie die Fast-Enklave „Entenschnabel“, die als Ost-Territorium in den Westteil Berlins hineinragte.
Streit über Eindämmung des Verkehrs
Heute sind in dieser Gegend Reinickendorf und das benachbarte Brandenburger Umland zusammengewachsen. Auf dem ehemaligen Todesstreifen gibt es Gewerbe und ein Einkaufszentrum. Der Verkehr hat seither massiv zugenommen. Wie er eingedämmt werden kann, darüber tobt ein Streit.
Zunächst trat eine Initiative aus dem Hermsdorfer Waldseeviertel auf den Plan. Zahlreiche Autofahrer würden ihr Quartier als Ausweichstrecke nutzen, wurde beklagt. Nicht zuletzt solche aus dem benachbarten Glienicke. Das sorge für volle Straßen, Lärm und wegen oft überhöhter Geschwindigkeit auch für Gefahr in ihrem Wohngebiet. Die Forderung: Kappen zweier Ost-West-Verbindungswege für den motorisierten Verkehr, der Schildower- und die Elsestraße. Bewerkstelligt werden sollte dies durch sogenannte Modalfilter sowie Poller, Baken oder andere Sperren, die eine Durchfahrt für Autos verhindern.
"Offene Nachbarschaft"
will "keine neuen Grenzen"
Dagegen widersetzte sich wiederum die Initiative „offene Nachbarschaft“. Sie hält die Pläne für kontraproduktiv. Stießen die Verkehrsteilnehmer irgendwo an Grenzen, würden sie sich neue Schleichwege suchen. Das wiederum führe insgesamt zu längeren Routen. Damit wäre aber nichts gewonnen, heißt es dort. Erst recht nicht, wenn sich die Verkehrsteilnehmer in die ohnehin schon stark frequentierte Oranienburger Chaussee einreihen. Was zu einer weiteren Belastung der dort bereits stark belasteten Anlieger führen würde. Sehr sozial wäre das nicht. Vielmehr ein Versuch der eher gut betuchten Bewohner des Waldseeviertels ihre Probleme auf Kosten anderer abzuwälzen. Die „offene Nachbarschaft“ unterfüttert ihre Argumente auch gern mit Verweis auf die Geschichte. Am 13. August, dem Jahrestag des Mauerbaus, veranstaltete sie eine Demo an den beiden Straßen, die mit Modalfilter ausgestattet werden sollen. Motto: Keine neuen Grenzen.
Beide Seiten verweisen auf eine Vielzahl von Unterstützern, etwa in Form von gesammelten Unterschriften. Dabei wird auch deutlich: Die Befürworter und Gegner lassen sich nicht konsequent auf ein Gebiet verorten. Bei der offenen Nachbarschaft machen Bewohner aus Hermsdorf und Glienicke mit. Andererseits gibt es auch Menschen aus dem benachbarten Brandenburg, die den Modalfiltern etwas abgewinnen können.
BVV stimmt einstimmig für Modalfilter
Die BVV hat bei ihrer Sitzung im Mai einstimmig ein zunächst probeweises Einrichten der Modalfilter beschlossen. Bei weiteren Untersuchungen, etwa Verkehrszählungen, sollen ihr Nutzen und mögliche Nebenwirkungen eruiert werden. Die „offene Nachbarschaft“ war mit dem Ergebnis nicht glücklich und zeigte das auch lautstark. Sie befürchtet, dass daraus eine Dauerinstallation wird. Und lässt anklingen, dass sie möglicherweise juristisch gegen die Sperren vorgehen werde.
Die Waldseeviertel-Initiative ist inzwischen ebenfalls etwas irritiert. Denn die Modalfilter lassen bisher auf sich warten. Wegen Corona würden sich Verkehrszählungen und Prüfungen verzögern, erklärte Baustadträtin Kathrin Schultze-Berndt (CDU) bei der jüngsten BVV.
Demo für Verkehrssicherheit
am Weltkindertag
Zuletzt wurde bei einer Aktion zum Weltkindertag am 20. September auf die Forderung aufmerksam gemacht. 80 Menschen hätten aus diesem Anlass im Waldseeviertel für mehr Verkehrssicherheit demonstriert, hieß es in einer Pressemitteilung. Zum Abschluss konnten Kinder die sonst dicht befahrene Straße am Waldsee mit Kreide bemalen. Auch zur Vorfreude auf die bevorstehende Straßenberuhigung.
Prompt folgte kurz darauf eine Erklärung der „offenen Nachbarschaft“. Auch dort werde das Verlangen nach mehr Fahrradwegen unterstützt, wurde betont. Nicht aber die Forderung aus dem Waldseeviertel, wonach der Autoverkehr nur noch auf den Hauptstraßen stattfinden soll. Schon aus Klimaschutzgründen wäre das wenig sinnvoll.
Volkes Stimme fehlte in diesem Statement ebenfalls nicht. Hier in Person eines Anwohners, der gefragt habe, wie die Waldsee-Nachbarn denn zu ihren teilweise mit Doppelgarage ausgestatteten Häusern kommen wollen, wenn ihre Autos nur noch auf den Magistralen fahren dürfen?
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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