Stadtspaziergang
Der Spätentwickler im Berliner Süden: Johannisthal
Zu meiner 226. monatlichen Tour lade ich nach Johannisthal ein. Ende September 1909 ist dort der zweite deutsche Motorflugplatz mit dem „Konkurrenzfliegen der ersten Aviatiker der Welt“ eröffnet worden.
Wer dessen Werbeplakat mit dem alle Abstandsregeln der Lüfte spottenden schwarzen Flugzeugpulk vor Augen hat, wundert sich nicht, dass pfiffige Briten in den Sechzigern mit dem Titel „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ einen ebenso ernsten wie unernsten Spielfilm zur Fliegerei-Frühzeit drehten. Sie verlegten das Spektakel mit allem Drum und Dran und in Farbe ins Jahr 1910, vom neuen Teltow- zum schicksalhaften Ärmelkanal, die Route London-Paris. Den Part des deutschen Piloten, ein adeliger preußischer Oberst, übernahm Mime Gert Fröbe, gebürtig in Zwickau, der hier den markigen Satz von sich gibt: „Es gibt nichts, was ein deutscher Offizier nicht kann!“
Fünf Dutzend Jahre später kann man sich über die komischen Gestalten aus der halben Welt immer noch kaputtlachen, auch wenn späteres Wissen den Spaß manchmal im Halse stecken bleiben lässt. Kino gab es in Johannisthal auch, etwa „Quax, der Bruchpilot“ (1941) mit Heinz Rühmann. Nach dem Flugzeugbau-Verbot der Alliierten hatten 1920 in den leeren Hallen die Jofa-Filmstudios eröffnet, folgend diverse Filmfirmen, wie auch das Fernsehen. Von dessen Farbfernseh-Standort leuchtete zuletzt nur das Grün der Wiese. Wussten Sie, dass südlich, im Adlershofer WISTA-Gebiet, erstaunliche Flugplatzreste blieben? So zwei elegante Werkstatt- und Laborgebäude von 1912 am Forum Adlershof; nebenan im Aerodynamischen Park aus der Zeit gefallenes Dreißiger-Jahre-Beton: der Trudelturm – ein riesiges stehendes Ei, Windkanal und Motorenprüfstände.
Im alten Rathaus Johannisthal, Am Sterndamm 102, Standort des Treptow-Museums, wird der Flughafen in Modellen und originalen Zeugnissen anschaulich dargestellt. Die Wald-und-Sumpf-Gegend Cöllnische Heide, zwischen den Alt-Dörfern Rixdorf, Altglienicke, Rudow, lange Berlins Schwesternstadt Cölln zugehörig, war ein Spätentwickler im Berliner Süden. 1753 hatte König Friedrich dort die Kolonisten-Siedlungen Johannisthal und Adlershof anlegen lassen. Im Bezirksmuseum trifft Lokales deutlich auf „Welt“. Zuletzt sind das zwei Ausstellungen gewesen: „Ausnahmezustand!“ zum 17. Juni 1953 im heutigen Großbezirk und eine ebenso aufschlussreiche Schau zur Mauer, deren langes Treptow-Teilstück zum damaligen West-Berlin jahrzehntelang Opfer forderte.
Im Treptow-Museum ist auch die Vorgeschichte des Treptower Parks visualisiert, wo nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Sowjetische Ehrenmal für 5000 Gefallene der Schlacht um Berlin angelegt wurde. 1896 war dort die große Gewerbeausstellung, nachdem der Kaiser die Ausrichtung als Weltausstellung verboten hatte. Neben dem nachgebauten Modell des Kerngebiets der damaligen 90-Hektar-Ausstellung wird deutlich, wie das Kaiserreich Weltgeltung mit seiner fortgeschrittenen Technik suchte und mit vielerlei Volksbelustigung Publikum anlockte. Sieben Millionen kamen! In diese Ausstellung war auch die sechs Hektar große 1. Deutsche Kolonialausstellung integriert, mit nachgebauten afrikanischen Dörfern, besiedelt mit über hundert angeworbenen Afrikanerinnen und Afrikanern im Stil damaliger „Völkerschauen“. Zwei Millionen Besucher sahen sie. Ganz aktuell am Sterndamm ist dazu die Ausstellung „zurückgeschaut“ zu sehen. Sie zeigt die damals als „Eingeborene“ ausgestellten Afrikaner als Menschen, die in Biografien und Porträtfotos späte Würde bekommen.
Nach 1870 hatte der Baron Carl Trützschler von Falkenstein mit Kauf und Parzellierung von Gutsflächen begonnen, auf wohlhabende Villenbewohner gehofft, sogar Badehaus und Kurpark gebaut. Aber, man sieht es im Ortsbild, es wurden nur wenige – wegen der Industrie an nahen Spreeufern, des neuen Teltowkanals auf der anderen Seite und letztlich auch wegen des Flugplatzes. Mehrgeschossige Mietshäuser entstanden im Kerngebiet meist erst in den Zwanzigern. Dazu gibt es, weniger bekannt, ringsum reichlich Siedlungen mit Einfamilien- und Reihenhäusern, entworfen oft von bekannten Architekten, heute als Denkmale ausgewiesen.
Anfang der Fünfziger an der Königsheide das modernste Kinderheim Berlins mit 600 Plätzen. Äußerlich fast unverändert im Grünen, viel Kunst am Bau, im typischen Zeitstil der 50er-Jahre angelegt, ist es heute Wohnpark – mit dem IBZ Königsheide, der Internationalen Forschungs- und Dokumentationsstätte für Heimerziehung.
Ein Kuriosum in der Engelhardstraße ist der erste Wohnhaus-Versuchsplattenbau der Deutschen Bauakademie von 1953, versteckt unter herkömmlicher Fassade im Stalinallee-Stil, unter Mitarbeit des Architekten Carl Fieger, einst am Dessauer Bauhaus engagiert.
Im Treptow-Museum fallen zwei berühmte Frauen ins Auge: Königin Elisabeth Christine, Gattin Friedrichs II., im Seidenkleid auf einem Ölporträt, hier wegen des Königs Maulbeeranpflanzungen zwecks Seidenraupenzucht. Die andere ist Melli Beese. Sie flog ab 1911 als erste deutsche Pilotin, wohnte von 1913 bis 1915 in Trützschlers Villa, Sterndamm 82-84.
Der Rundgang beginnt am Sonnabend, 19. Oktober, dieses Mal erst um 13 Uhr. Treffpunkt ist die Ecke Großberliner Damm und Nieberstraße – vom S-Bahnhof Schöneweide zu erreichen mit der Tram M17 bis Nieberstraße.
Die Führung am 19. Oktober ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 14. Oktober, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 07.
Die Tour am Sonnabend, 26. Oktober, beginnt um 14 Uhr. Der Treffpunkt ist an diesem Tag an den Stelen mit den Scheibenköpfen an der Ecke Rudower Chaussee und Newtonstraße – zu erreichen ab S-Bahnhof Adlershof mit den Straßenbahnen 61 und 63 bis Walter-Nernst-Straße. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Telefonische Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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