Regional und gesund einkaufen
Im Rathaus Johannisthal gibt es jetzt einmal pro Woche eine „Marktschwärmerei“
An einem Donnerstagabend – draußen ist es kalt und dunkel – herrscht im Rathaus Johannisthal plötzlich reges Treiben. Zwei Räume und ein Flur im Kiezklub werden wöchentlich für anderthalb Stunden zu einer Art Lebensmittelgeschäft. Anwohner gehen ein und aus und tragen nummerierte Papiertüten nach Hause.
Dazwischen wuselt Saskia Letz umher, hakt die Namen der Kunden auf einer Liste ab, kontrolliert die Bestellungen und schüttelt freundlich Hände. Seit Mitte November ist die 34-Jährige Gastgeberin einer sogenannten Marktschwärmerei. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Online-Shop und Bauernmarkt. Die Kunden bestellen Waren des täglichen Bedarfs über das Internet, ohne Mindestbestellwert, Mitgliedsbeitrag und Bestellpflicht. Anschließend werden die Bestellungen von den Erzeugern zusammengepackt und warten dann vor Ort in einem bestimmten Zeitfenster auf Abholung, im Rathaus Johannisthal jeden Donnerstag von 18 bis 19.30 Uhr.
Begleitet wird die Übergabe von Verköstigungen und dem persönlichen Austausch. Das besondere Konzept dahinter ist, dass sämtliche Produkte aus der Region stammen und durchschnittlich nur 45 Kilometer transportiert werden. Auf diese Weise soll der Lebensmitteleinkauf umwelt- und tierschonender werden. Traditionell erzeugte Produkte aus Berlin und Brandenburg werden zugleich gefördert.
Gestartet ist „Marktschwärmer“ 2011 in Frankreich. Seitdem sind dort mehr als 700 regionale Märkte entstanden. 2014 startete das Projekt in vier weiteren Ländern: neben Spanien, Italien und Belgien auch in Deutschland, damals noch unter dem Namen „Food Assembly“. Im Juli 2014 wurde die erste Marktschwärmerei in Berlin eröffnet. Inzwischen gibt es deutschlandweit mehr als 150. In Treptow-Köpenick wurden bis jetzt vier aufgemacht.
Bei dieser Art des Einkaufens werde Lebensmittelverschwendung schon im Kern verhindert, erklärt Saskia Letz. Geerntet und geschlachtet wird nur die bestellte Menge. Am Ende des Tages nehmen die Händler keine Waren mit nach Hause. Das bedeutet aber auch, dass ein spontanes Erscheinen nicht möglich ist. Vor fünf Jahren ist die junge Mutter Saskia Letz aus Steglitz-Zehlendorf nach Johannisthal gezogen. Nach dem Abitur hat sie eine kaufmännische Ausbildung zur Werbekauffrau absolviert. Sie habe dann immer an der Schnittstelle von Marketing und Kommunikation und auch schon einmal für die Deutsche Umweltstiftung an der Entwicklung einer Online-Plattform gearbeitet, wie sie erzählt.
In ihrem neuen Kiez habe sie nicht unter den Aspekten einkaufen können, die ihr wichtig sind. Johannisthal sei noch ein bisschen verschlafen, so ihre Meinung. Deshalb habe sie eine Alternative zum klassischen Supermarkt anbieten wollen. Auf das Netzwerk Marktschwärmer wurde sie über eine Jobbörse aufmerksam. Sie habe einen Fragebogen zu ihrer persönlichen Motivation und beruflichen Situation ausgefüllt, nach längerer Suche und in Absprache mit dem Bezirksamt einen geeigneten Pop-up-Standort mit dem Kiezklub gefunden und Händler aus der Region akquiriert.
In ihrer Marktschwärmerei, an deren Umsatz sie beteiligt wird, gibt es unter anderem Obst und Gemüse, Eier, Milch, Kaffee, Käse, Brot, Fleisch und Fisch, aber auch ausgefallenere Dinge wie Kombucha, Hummus und Pesto. Mit an Bord ist unter anderem Jay Barros (42). Der US-Amerikaner hat Anfang 2022 das Unternehmen „Katari Farms“ gegründet. Seitdem baut er in einer ehemaligen Badewannenfabrik nahe dem Treptower Park Brokkoli, Erbsen, Senf, Rote Beete und Rettich an. Seine sogenannten „Microgreens“ werden gern zum Zubereiten von Salaten bestellt.
Ebenfalls beteiligt ist die Müslimanufaktur „HaferZeit“ aus Köpenick. Gründerin und Geschäftsführerin Anna-Sophie Stiegemann stellt in der Lindenstraße gebackene Müslisorten her, darunter auch ungewöhnliche Varianten wie Apfel-Hanf, Ingwer-Chili und Masala-Curry. Das Konzept von Marktschwärmer findet sie gut, weil regionale Erzeugnisse dadurch eine Bühne bekämen. „Ich will zeigen, dass regionale Produkte spannend und lecker sein können“, sagt Saskia Letz. In Zukunft möchte sie gern einen Lieferservice anbieten. Zudem ist sie bereits mit weiteren Erzeugern im Gespräch.
Weitere Informationen und Standorte unter marktschwaermer.de/de-DE/assemblies/14010/
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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