Als die Russen Karlshorst verließen
Im Sommer vor 30 Jahren war der Abzug in vollem Gange
Fast ein halbes Jahrhundert gehörten die Sowjetsoldaten zum Straßenbild in Karlshorst. Vor 30 Jahren begann die letzte Phase des Abzugs.
Daran erinnert in diesem Jahr der Karlshorster Günter F. Toepfer auf besondere Weise. An seiner Gartentür an der Lehndorffstraße 32 hängt ein Brett, an dem er jeden Monat eine Übersicht mit Ereignissen aus der Karlshorster Geschichte veröffentlicht, und zwar taggenau. Weil im Januar stets nicht allzu viel passierte, gibt es jetzt einen Überblick über 2024 anstehende Jubiläen. So erinnert Toepfer zum Beispiel an den 6. Mai 1854. An diesem Tag vor 170 Jahren fand das erste Pferderennen auf dem Gebiet des heutigen Karlshorst statt. Am 9. Mai 1894, also vor 130 Jahren, eröffnete der Rennbahnhof, der Berliner mit Zügen zur Rennbahn brachte. Heute befindet sich dort das Handelsunternehmen Bio-Company.
Aber für viele am präsentesten ist sich der Abzug der russischen Soldaten vor 30 Jahren. Die Kaserne war für Karlshorster ein Gelände, zu dem sie keinen Zutritt hatten. Erst 1990 bekamen einige einen Einblick in das Leben hinter den Kasernenmauern. Irene Melzer, die sich in der evangelischen Gemeinde engagiert, hatte nämlich die Idee, die Soldaten zu Weihnachten mit einem kleinen Geschenk zu überraschen. Die Gemeindemitglieder machten mit. Damit ausreichend Geschenke gepackt werden konnten, fragte die Initiatorin beim Standort-Kommandanten nach, mit wie vielen Soldaten man rechnen müsse, erinnert sich Günter F. Toepfer. Zunächst wollte man keine Auskunft geben. Aber als die Initiatorin nicht nachließ erfuhr sie, dass seinerzeit noch 1500 Soldaten in Karlshorst stationiert waren.
„Wir fuhren dann mit einem kleinen Laster mit den Päckchen in den Kasernenhof. Dort standen die Soldaten bereits in Reih und Glied. Sie freuten sich über unser Kommen wie kleine Kinder“, so Toepfer. „Wir durften dann sogar die Kaserne besichtigen, unter anderem einen Schlafsaal, in dem 300 Soldaten schlafen mussten“, berichtet Toepfer.
Am 31. August 1994 fuhr der letzte Truppentransport aus Karlshorst Richtung Russland ab. Es war schon Nacht, als die letzten Soldaten von ihrer Kaserne aus zu Fuß etwa einen Kilometer in Richtung ihres Bahnhofs marschierten und einen dort bereitgestellten Zug bestiegen, berichtet Günter F. Toepfer. „Mein Sohn hatte Wind davon bekommen, fotografierte die Soldaten und sprach mit ihnen. Einer zeigte ihm ganz stolz, was er aus Deutschland in seine Heimat mitnimmt: Das war eine Iso-Matte. Mehr gab es für sie nicht als Erinnerung.“
Die Offiziere gingen hingegen ganz anders vor. Wenn sie auf einem Grundstück beim Spaziergang einen Pkw entdeckten, der ihnen gefiel, klingelten sie und fragten, ob der Besitzer ihn verkaufen möchte. „Die bezahlten sogar sofort bar“, so Toepfer. Weil sie mit dem deutschen Geld in ihrer Heimat nichts anfangen konnten, wollten sie es in Autos umsetzen. Die Offiziere lebten nicht in der Kaserne, sondern in Häusern über Karlshorst verteilt. Es gab aber auch die Plattenbauten an der Treskowallee, in der russische Familien lebten. „Als die leergezogen waren, wurden sie bereits abgerissen, als immer noch Soldaten in Karlshorst stationiert waren“, berichtet Günter F. Toepfer. „Da gab es einen riesigen Trümmerberg, auf dem ein Bagger stand, der nach und nach die Plattenbauten weiter abtrug.“
Weil sie zur offiziellen Verabschiedung der Alliierten in Berlin nicht eingeladen waren, machten die russischen Soldaten in der Straße An der Wuhlheide am 25. Juni 1994 ihre eigene Abzugsparade, berichtet Günter F. Toepfer. „Da gab es aber nur wenig Publikum.“
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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