Stadtspaziergang
Zwischen Museum und „Russenoper“ im Rheinischen Viertel
Zu meiner 230. monatlichen Tour lade ich Sie ins Karlshorster Rheinische Viertel ein. Zu Zeiten Kaiser Wilhelm II. sind dort Straßen nach Burgen und Orten am Mittelrhein benannt worden, in den 1930er-Jahren dann auch nach einigen Orten im Bayerischen Wald.
Gleich am S-Bahnhof die Stolzenfelsstraße. Von hier fährt Bus 296 durch die lange Rheinsteinstraße bis zur Haltestelle Museum Karlshorst, Zwieseler Straße 4. Das Gebäude ist vor 80 Jahren zum Ort der Weltgeschichte geworden. Denn hier mussten am 8. bis 9. Mai 1945 die aus Flensburg mit amerikanischer Maschine eingeflogenen obersten Befehlshaber der Deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der Antihitlerkoalition die bedingungslose Kapitulation der Streitkräfte des NS-Staates unterschreiben. Das Datum beschließt bekanntlich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und wird seitdem in vielen Ländern als Tag der Befreiung gefeiert.
Karlshorst war weitgehend von Kriegszerstörungen verschont geblieben, und so bestimmte der Kommandeur der 5. Stoßarmee der 1. weißrussischen Front, General Nikolai Bersarin, noch während der Kämpfe die ehemalige Festungspionierschule (erbaut 1936) zu Marschall Shukows Hauptquartier. Der einstige Casino-Speisesaal heißt heute „Kapitulationssaal“ und zählt zu jenen seltenen Orten, die bis heute von den Fahnen der Französischen Republik, der UdSSR, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten geschmückt sind. Danach ist das Haus Sitz der Sowjetischen Militärregierung in Deutschland (SMAD) gewesen. Weniger bekannt: Am 10. Oktober 1949 empfängt in diesem Saal der Chef der SMAD, Wassilij Tschuikow, die DDR-Regierung unter Ministerpräsident Grotewohl, übergibt ihm die Vollmacht zur Führung der Regierungsgeschäfte.
Mitte der 1960er-Jahre ist dann - weiterhin als sowjetische Einrichtung - das Haus als Museum eröffnet worden. Zuerst für Angehörige der Streitkräfte unter dem Motto „Ruhm dem großen Sieg“, später auch für die Öffentlichkeit. Im Mai 1975, 30 Jahre nach der Befreiung, ist im zweiten Adlershofer TV-Programm der Film „Das Haus in der Rheinsteinstraße“ gezeigt worden, in Farbe, ergänzt mit historischen Schwarz-Weiß- Szenen, hergestellt vom DEFA-Dokfilmstudio. 26 Minuten Zeitgeschichte am historischen Ort. Fortan war in Hauptstadt-Plänen ein „M“ am exakten Platz zu finden, unter „Sowjetisches Militärmuseum“ steht es in Berlins Museumslisten. Januar 1976 ist die Straße umbenannt - nach Wehrmachtsdeserteur Fritz Schmenkel. Der war 1943 als Partisan- Fallschirmjäger hinter der deutschen Front abgesetzt, sofort gefangengenommen, 1944 hingerichtet. Ein Deutscher, bekam 1964 postum den Goldenen Stern eines Helden der Sowjetunion. Mit der Umbenennung verschwand der Ort aus den Listen, nur das M im Kreis blieb in Straßenplänen. Im Fortgang der Geschichte verschwand Januar 1992 auch der Name Fritz-Schmenkel. Wieder Rheinsteinstraße!. Ab 1994 mit Abzug der Alliierten, hat „Museum Karlshorst“ die Adresse „Zwieseler Straße 4“, bekam festen Platz als einziges Kapitulationsmuseum in Deutschland.
Noch einmal zurück zu 1976 und einer merkwürdigen Parallelität: Genau in dem Jahr ist nämlich Burg Rheinstein von dem Opernsänger Hermann Hecher durch Kauf gerettet worden. Heute präsentiert sich dort stolz die „Burgfamilie Hecher“, die im alten Gesindehaus lebt, und den Schlossbau in den letzten Jahrzehnten aufwendig restauriert, zur Besichtigung, mit Restauration und für Übernachtungsgäste geöffnet hat. Als hätten es die Karlshorster schon früher gewusst, ist die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal in die Weltkulturerbeliste der Unesco aufgenommen worden. Schinkel soll anno 1816 bei einer Reise in die neue preußische Provinz auf der linken Rheinseite die Ruine der mittelalterlichen Voitsburg entdeckt haben. Der Prinz von Preußen erwarb sie, ließ sie als erste alte Rheinburg zum Schloss umbauen, alte Teile hervorheben. Seitdem: Rheinstein. Schinkel selber und Nachfolger Stüler bauten die Ruine Stolzenfels ab 1826 zum Schloss im Stil der Neugotik für König Friedrich Wilhelm IV. um, das bis heute als Inbegriff der Rheinromantik gilt. Burg Ehrenfels, Ruine einer Hangburg auf der Rüdesheimer Rheinseite, kam erst 1866 zu Preußen, heute in Hessen.
Die beiden Straßen bei der S3-Station Karlshorst, benannt nach Schloss und Burg, sind durch die Theatergasse verbunden, ansehnlich durch Bilder von Karlshorster Merkwürdigkeiten, benannt aber nach dem ersten Nachkriegstheaterbau in Deutschland im Karree, errichtet als Reparation Haus der Offiziere: Theater Karlshorst, auch despektierlich „Russenoper“ genannt . Von außen grau geputzter Schlichtbau, Typ mittleres Stadttheater. Auch der Bühnenturm lässt an keinerlei Rheinromantik denken. Vor sechs Wochen feierte Lichtenbergs Musikschule, ab Bezirksfusion Schostakowitsch-Musikschule, ihren 70. mit einem großen Konzert in der Philharmonie. Leider ist der heimische Theatersaal am Johannes-Fest-Platz in langwieriger Erneuerung. Doch Teile des Gebäudes sind saniert und so konnte man sich auch an dunklen Winternachmittagen schon auf dem S- Bahnsteig gegenüber freuen, dass hinter vielen erleuchteten Fenstern in der „Russenoper“ viele Schostakowitsch nacheifern.
Von hier kamen die bekanntesten Weltreisenden des Berliner Ostens: Die vom Cartoonisten Hannes Hegen ( Johannes Hegenbarth, 1925-2014), der an der Waldowallee wohnte, auch vor 70 Jahren erfundenen Digedags, die ohne ihn, doch mit der Zeitschrift Mosaik schon lange als Abrafaxe überlebten, selbst Anna, Bella und Caramella sind längst mobil und gerade im Reich der Mitte unterwegs.
Der Stadtspaziergang startet am Sonnabend, 8. Februar, um 11 Uhr. Treffpunkt ist vor dem Museum Karlshorst, Zwieseler Straße 4, zu erreichen mit der S3 bis S-Bahnhof Karlshorst und weiter mit dem Bus 296 bis zum Museum oder mit der U5 bis U-Bahnhof Tierpark und weiter mit dem Bus 296 bis Haltestelle Museum Karlshorst.
Die Führung am 8. Februar ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Dienstag, 4. Februar, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 07.
Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 22. Februar, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Telefonische Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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