Die ganze Kinogeschichte im Keller in Kladow
Wolfgang Weber hat einen einzigartigen Fundus an Filmen, Plakaten, Kameras und Projektoren
Der Keller von Wolfgang und Sabine Weber ist nicht das, was man normalerweise darunter versteht. Ihr Untergeschoss ist rund 250 Quadratmeter groß. Sie haben es in mehreren Etappen unter ihrem Haus und dem Garten angelegt. Es besteht aus mehreren Räumen, die vollgepackt sind mit Filmexponaten und Requisiten, Plakaten, Eintrittskarten und weiteren Relikten aus dem Fundus von Kinos.
An den Decken hängen Kameras aller Größen und Epochen. Ein Herzstück sind die eingepackten Rollen von rund 1000 Filmen, die ähnlich wie in einem Archiv in großen Schränken gestapelt sind. Dieser Bereich ist wegen der heiklen Ware entsprechend temperiert.
Als Nächstes sorgt der tief in den Kladower Boden eingebaute Kinosaal mit 32 Plätzen für Erstaunen. Die rot gepolsterten Sitze befanden sich einst im Theater des Westens. Hier werden die gelagerten Filme an Kinoabenden mit Freunden abgespielt. Ansonsten genehmigt sich das Ehepaar hier private Vorstellungen.
Ist dieses Heimkino noch zu toppen? Ja, dafür stehen 15, häufig riesige Projektoren, die für den Hausherren das Herzstück bilden. Manche sind schon mehr als 100 Jahre alt. Sie erzählen die analoge Filmgeschichte, vor allem in ihren Anfängen. Und sie funktionieren noch immer, wie Wolfgang Weber am Beispiel einer Mechau 35 Millimeter demonstriert. Das Gerät wurde zwischen 1909 und 1926 gebaut. Weltweit gibt es wohl nur noch sechs Exemplare dieses riesigen Filmvorführers, unter anderem in San Francisco, in Japan und im Filmmuseum in Potsdam. Wolfgang Weber hat alle Standorte dieses Projektors dokumentiert. Natürlich auch seinen eigenen in Berlin-Kladow. Für ihn sind die Projektoren der Mittelpunkt seiner riesigen Sammlung. Nicht alle waren betriebsbereit, als sie bei ihm ankamen. Alle wieder funktionsfähig zu machen oder auszubessern, damit beschäftigt sich der 70-Jährige meist in seiner Werkstatt, einem weiteren Raum im Souterrain. Das führt auch zum Anfang seiner Leidenschaft zurück, deren Ergebnisse inzwischen längst nicht mehr unter dem Begriff Sammlung einzuordnen sind.
Was in diesem besonderen Keller lagert, ist Filmtechnik, Filmgeschichte, Filmwissen, ist so ziemlich alles, was wichtig war, als Filme noch in großen Zelluloidrollen hergestellt und in den Kinos gezeigt wurden. Der analoge Film begeistert Wolfgang Weber seit seiner Kindheit. Hier hat er ihm ein Denkmal gesetzt. Auch einige digitale Streifen, die es, weil anders heute gar nicht mehr produziert, in sein riesiges Museum geschafft haben, ändern daran nichts.
Wolfgang und Sabine Weber sehen ihre Schatzsammlung als ein Museum. Es hat auch einen Namen: „Cinema Paradiso“. Ein Lebenswerk, dessen materieller Wert wohl im sechsstelligen Bereich anzusiedeln ist und dessen ideeller Wert überhaupt nicht zu beziffern ist. Das Resultat einer gemeinsamen Leidenschaft aufbewahrt in einem riesigen Refugium unter einem Kladower Grundstück. „Hier wohnt die Seele des Kinos“ ist ihr geschriebenes und gesprochenes Motto.
Wolfgang Weber ist in das Filmgeschäft sozusagen hineingewachsen. Als Sechsjähriger habe er seinen ersten Projektor bekommen und erste Filme wie zum Beispiel „Kathrinches Flegeljahre“ für Kinder vorgeführt. Sein Vater arbeitete bei Wenzel Lüdecke (1917-1989), dem legendären Produzenten und Chef der Berliner Synchron. In dessen Studios in Lankwitz wurden viele ausländische Filme und Serien ins Deutsche vertont. Wolfgang Weber kannte nicht nur das Gelände, sondern auch die Privatvilla von Wenzel Lüdecke im Grunewald, weil sein Vater dort als Hausmeister und Butler fungierte. Er traf dort auf viele bekannte Schauspieler und andere Prominente, wovon auch einige Autogramme von Filmgrößen in seiner Sammlung zeugen.
Wolfgang Weber hat Starkstromelektriker gelernt und als Tontechniker beim SFB und später RBB gearbeitet. Außerdem machte er eine Ausbildung als Filmvorführer und war unter anderem in der Lupe, Kurbel, Bellevue, darunter manche inzwischen verschwundene Filmtheater, tätig. Ein Höhepunkt war die Zeit, als er vor bis zu 20 000 Zuschauern beim Open-Air-Kino in der Waldbühne Blockbuster und Filmklassiker von Casablanca bis zur Rocky Horror Picture Show oder den Blues Brothers abspielte.
Seine Sammlung wuchs über viele Jahrzehnte durch Kauf, aufgespürtes, vererbtes, geschenktes, ersteigertes. Das Kellerreich entstand in mehreren Etappen.
Noch immer ist Wolfgang Weber auf der Suche nach möglichen weiteren Exponaten. Der größte Fang gelang ihm zuletzt 2016. Über das Internet lernte er einen österreichischen Rallyefahrer kennen, der ein Grundstück geerbt hatte, auf dem sich ein, allerdings schon lange geschlossenes Kino befand. Dort fanden sich zahlreiche historische Projektoren, die in den Besitz von Wolfgang Weber übergingen. Das war ein einschneidendes Ereignis in seinem Sammlerleben. 2009 hat Wolfgang Weber einen Schlaganfall erlitten. Seither wurde aus seiner Kino-Leidenschaft auch eine Lebensmotivation. Er hat eine Aufgabe, der er nahezu jeden Tag nachkommt.
Bleibt noch die Frage, welche Filme das Ehepaar besonders gerne sieht. Sabine Weber mag noch immer „Sissi“ oder den Abenteuerstreifen „Hatari“ aus dem Jahr 1962 mit John Wayne und Hardy Krüger. Wolfgang Weber hat einen klaren Favoriten, der der Sammlung auch seinen Namen gab. „Cinema Paradiso“ ist nämlich der Titel eines 1988 entstandenen italienischen Spielfilms. Er erzählt in Rückblenden die Lebensgeschichte eines berühmten Regisseurs, der als kleiner Junge in einem sizilianischen Dorf die Leidenschaft für das Kino entdeckt hatte. Eine Filmbiografie mit Anlehnungen an die Vita von Wolfgang Weber. Mit dem Unterschied, dass sein Lebenswerk alle Bereiche der Kinohistorie umfasst.
Die Schätze in ihrem Museum für Kinokultur zeigen die Webers gerne, allerdings nur wirklich Interessierten und nach Anmeldung per E-Mail an mfk@berlin.de
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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