Siegfried Eisbrenner geht mit dem Leierkasten auf Tour
Köpenick. Viele kennen Siegfried Eisbrenner (73) zumindest vom Sehen. Der Rentner ist fast jeden Tag mit dem Leierkasten unterwegs.
Dann steht er vor dem Forum in der Köpenicker Bahnhofsstraße, am Marktplatz in Friedrichshagen oder im Nachbarbezirk Lichtenberg am Bahnhof Karlshorst oder vor dem Tierparkeingang. „Ich habe kein Auto und muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Wenn es keinen Fahrstuhl gibt, ziehe ich meine Drehorgel über die Treppe auf den Bahnsteig“, erzählt der rüstige Rentner, der viele Jahre in der Gastronomie gearbeitet hat. Den Leierkasten, wie die Drehorgel im schlichten Berliner Jargon heißt, hat er erst gekauft, als er im Ruhestand war. „Ich hatte schon als Kind die Leierkastenmänner bewundert, die damals noch in die Wohngebiete und auf die Hinterhöfe kamen. Wir Kinder haben dann für die Männer das Geld eingesammelt, das die Anwohner aus den Fenstern geworfen haben“, erzählt Eisbrenner.
Heute bekommt er das Geld. Wobei der Verdienst nicht gerade üppig ist. Viele Passanten gehen vorbei, ohne eine Miene zu verziehen. Andere haben Zeit für ein paar nette Worte und sogar ein Schwätzchen. In der Spendendose, die oben auf der Drehorgel steht, landen meist „Fuffziger“, aber auch Ein- oder Zwei-Euro-Stücke.
„Das ist doch toll, dass Siegfried eine alte Berliner Tradition am Leben hält. Ich kenne ihn bereits aus der Jugend, wir sind beide in Rahnsdorf aufgewachsen. Ich freue mich immer, wenn ich ihn mit seinem Leierkasten sehe“, erklärt Renate Gramentz (79) und gibt ihm spontan einen Kuss.
Eisbrenner stammt übrigens aus einer musikalischen Familie. Verwandte von ihm – schrieben die Filmmusik für „Große Freiheit Nr. 7“ (Werner Eisbrenner) oder arbeiten als Liedermacher und Musikproduzent (Tino Eisbrenner). Besonders musikalisch muss man allerdings nicht sein, wenn man Leierkastenmusik macht. Die Lieder sind auf Lochstreifen gespeichert, mit denen die Luftzufuhr für die Orgelpfeifen gesteuert wird. Nur das richtige Tempo muss man beim Leiern im Gefühl haben.
Bekannt wurden die Leierkastenmänner durch Fotos und vor allem Zeichnungen von Heinrich Zille. Der Berliner mit sächsischen Wurzeln hat vor allem in der Kaiserzeit Berliner Lokalkolorit zu Papier gebracht. Für die Leierkastenmänner war das vermutlich keine gute Zeit. Verdienten sich doch vor allem Kriegsversehrte mit der Drehorgel oft nur wenig mehr als die Butter aufs Brot.
Siegfried Eisbrenner besitzt inzwischen drei Drehorgeln. Eine ist etwas leiser und vor allem für Innenräume gedacht, wenn er bei Hochzeiten und privaten Feiern auftritt. „Und das alles ohne Werbung, ohne Internet oder Facebook, sondern nur mit Flüsterpropaganda“, versichert er. Da ist er wirklich ein echtes Berliner Original. RD
Hier sehen Sie ein kurzes Video mit Siegfried Eisbrenner am Leierkasten:
Autor:Ralf Drescher aus Lichtenberg |
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