"Wir sind gekommen, um zu bleiben!"
Ehemaliges Klavierwerk wird zum Handwerkerhof

Jule Kürschner (r.), Mitinhaberin der Tischleria, und Holzdesignerin Henny Hendrichs an einem Tisch, der nach Kundenwünschen angefertigt wurde. Beide Handwerkerinnen haben ihre Werkstätten im Klavierwerk.  | Foto: K. Rabe
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  • Jule Kürschner (r.), Mitinhaberin der Tischleria, und Holzdesignerin Henny Hendrichs an einem Tisch, der nach Kundenwünschen angefertigt wurde. Beide Handwerkerinnen haben ihre Werkstätten im Klavierwerk.
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Sägen kreischen, es wird gehämmert und gebohrt. Es riecht nach frisch verarbeitetem Holz. In das ehemalige Klavierwerk im Gewerbegebiet Haynauer Straße ist wieder Leben eingezogen. Seit Ende vergangenen Jahres hat dort die „Tischleria“ ihren neuen Standort gefunden. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, schreiben die beiden Inhaberinnen auf ihrer Webseite.

Die beiden Inhaberinnen sind Jule Kürschner und Christina Pech. Die Frauen sind Tischlermeisterinnen aus Leidenschaft und seit gut 20 Jahren selbstständig. Die "Tischleria" haben sie 2016 gegründet. Jetzt gehören zum Betrieb acht Mitarbeiterinnen. Alles Frauen oder non-binäre Personen. „Wir wollen zeigen, dass sich Frauen in sogenannten ,Männerberufen’ durchaus behaupten können und Vorbild sein“, erklärt Jule Kürschner. Im Tischlereihandwerk läge der Frauenanteil bei gerade einmal 18 bis 20 Prozent. Das müsse sich ändern. Dazu will die "Tischleria" beitragen und Frauen ermutigen, einen handwerklichen Beruf auszuüben.

Dass es aber auch für einen alteingesessenen Handwerksbetrieb in Berlin nicht einfach ist zu bestehen, haben die Frauen in den vergangenen Jahren selbst erfahren. Zweimal innerhalb von sieben Jahren flatterte der "Tischleria" die Kündigung ins Haus. Zweimal stand ein riesiger Umzug an: mit acht Tonnen Maschinen, zehn Kubikmetern Holz, 1,2 Millionen Schrauben, vier Hobelbänken und einer Druckluftanlage. Das ging an die Substanz.

Henny Hendrichs (rechts) zeigt Jule Kürschner ihre Produkte, die sie aus Holzresten anfertigt.  | Foto:  K. Rabe
  • Henny Hendrichs (rechts) zeigt Jule Kürschner ihre Produkte, die sie aus Holzresten anfertigt.
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„Für das produzierende Gewerbe gibt es in Berlin keinerlei Schutz“, kritisiert Jule Kürschner. Die Mieten würden ins Unbezahlbare steigen oder Handwerksbetrieben werde gekündigt und die frei werdenden Flächen in Büros oder Wohnraum umgewandelt, schildert sie die Situation in Berlin. Kleine und mittlere Handwerksbetriebe würden so aus der Innenstadt verdrängt. „Die Stadt verarmt und die Vielfalt geht verloren“, sagt Kürschner. Dass sie Ende vergangenen Jahres in die Räume in Lankwitz einziehen konnten, war ein Glücksfall und „Rettung in letzter Minute“.

Vor allem für Betriebe wie die "Tischleria", die viel Platz für Maschinen brauchen, wird es immer schwieriger, finanzierbare Räume zu finden. Um unabhängig vom Berliner Immobilienmarkt zu sein, haben sich die "Tischleria" und andere Handwerksbetriebe zusammengeschlossen. Sie sind nun Teil der Genossenschaft „Eine für alle“, die das alte Klavierwerk betreibt und vermietet. Die „Eine für alle eG.“ wurde 2019 als Genossenschaft für Gewerbetreibende gegründet. Sie ist die einzige Dachgenossenschaft für Gewerbetreibende, die mehrere Standorte in Berlin hat. Unter anderem will sie auch das Atelierhaus Osdorfer Straße umsetzen.

Amanda Baker arbeitet als Gesellin bei der "Tischleria" und ist eine von acht Mitarbeiterinnen des Handwerksbetriebs. | Foto: K. Rabe
  • Amanda Baker arbeitet als Gesellin bei der "Tischleria" und ist eine von acht Mitarbeiterinnen des Handwerksbetriebs.
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Für die "Tischleria" bedeutet die Genossenschaft Sicherheit. Und das auf lange Sicht. Gemeinsam mit anderen Betrieben und Ateliers haben sie sich zum „Handwerkerhof Klavierwerk Lankwitz“ zusammengeschlossen. Dazu gehören neben weiteren Tischlereien unter anderem Bronzegießerei, Steinmetz, Landschaftsbauer, Stickerei und Drechslerei. „Das wird ein schöner Mix“, sagt Jule Kürschner. Sie freut sich, dass an der ehemaligen Produktionsstätte von May-Klaviere im Laufe dieses Jahres wieder das Handwerk ein Zuhause findet und das Gebäude wieder mit Leben füllt. Vor Konkurrenz fürchtet sich dort übrigens niemand. „Im Gegenteil, wir können uns gegenseitig ergänzen und aushelfen“, sagt Henny Hendrichs. Auch die Tischlerin hat eine Werkstatt im Klavierwerk. Sie designt, produziert schöne Dinge aus Holz und setzt auf Nachhaltigkeit. Denn sie verarbeitet unter anderem Produktionsreste der "Tischleria".

Auch den Menschen aus der Umgebung ist es nicht verborgen geblieben, dass sich im alten Klavierwerk etwas tut. „Wir haben schon viele Kunden aus dem Kiez“, sagt Kürschner. Es seien meist ältere Eigenheimbesitzer, die ihr Haus barrierefrei gestalten wollen. Und da sind sie bei der "Tischleria" an der richtigen Adresse. Denn der Schwerpunkt des Frauenteams liegt im „körpergerechten Wohnen“. Das heißt, es wird auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen, auch auf körperlich Beeinträchtigungen. „Wir entwickeln und bauen Möbel und ganze Küchen so, dass sie den Wünschen und dem Budget entsprechen. Bei uns gibt es nichts von der Stange“, betont die Tischlerin. Verwendet werden ausschließlich einheimische Hölzer aus nachhaltiger Forstwirtschaft oder zertifizierte Plattenwerkstoffe. Ökologie, Langlebigkeit und soziale Aspekte spielen eine große Rolle.

Tischleria GmbH im Handwerkerhof Klavierwerk Lankwitz, Haynauer Straße 67a, tischleriagmbh.de Mehr über den Handwerkerhof auf www.einefueralle.berlin/klavierwerk-lankwitz.

Autor:

Karla Rabe aus Steglitz

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