Bauboom in den Zwanzigern
Ausstellung "Wege aus der Wohnungsnot – Bauen für Groß-Berlin" in Alt-Mariendorf eröffnet
Als sich Groß-Berlin 1920 gründete, lebten viele der fast vier Millionen Menschen in engen, feuchten und bedrückenden Quartieren. Der Magistrat stand vor der Riesenaufgabe, Abhilfe zu schaffen. Was in Tempelhof passierte, zeigt die Ausstellung „Wege aus der Wohnungsnot“ im Museum Tempelhof, Alt-Mariendorf 43.
Der neue Bezirk hatte einen wichtigen Vorteil: Es gab Platz. Abgesehen von den Industrieansiedlungen, wie am Teltowkanal, war Tempelhof recht ländlich geprägt. „Ende der Zwanzigerjahre war der Bezirk führend beim Wohnungsbau, 1929 beispielsweise sind hier 4000 der insgesamt 24000 Berliner Neubauten entstanden“, so Philipp Holt, einer der drei Kuratoren der Schau. Ein Finanzierungspfeiler war eine neue Abgabe, die Hauszinssteuer, die ab 1924 erhoben wurde. Im Zentrum der Ausstellung steht ein überdimensionierter Stadtplan von Tempelhof. Darauf sind mehr als ein Dutzend Siedlungen markiert, die während der Weimarer Republik entstanden. Fünf haben die jungen Kuratoren herausgepickt und auf großen Tafeln näher beschrieben.
Zum Beispiel die Gartenstadt Neu-Tempelhof nahe Flugplatz. „Die Reihenhäuser in der Mitte sind Beispiele der sogenannten Heimatschutz-Architektur. Sie sollten ein angeblich verlorenengegangenes Gemeinschaftsgefühl wiederauferstehen lassen“, erklärt Kurator Hans Philipp Offenhaus. Modernere Gebäude umrahmen die Reihenhäuser und schirmen sie wie eine Burgmauer ab. Grundidee war, dass in der Siedlung vor allem Kriegsversehrte und Kinderreiche leben sollten. Dunggruben im Keller, Ställe für Kleintiere und Gärten zum Gemüseanbau zielten auf Mieter, die wenig Geld hatten und auf Selbstversorgung nicht verzichten konnten. Doch bald wurden auch Villen gebaut. Der soziale Anspruch trat in den Hintergrund.
Bauen für Beamte
Ställe und Dunggruben gehörten auch zu den Häusern der Mariendorfer Monopol-Siedlung zwischen Eisenacher und Ullsteinstraße. „Auch wenn die Mieter keine Hungerleider waren“, so Offenhaus. Hier lebten Beamte, die bei der Reichsmonopolverwaltung an der Ringbahnstraße arbeiteten. Sie regelten das Spirituosen-Gesetz neu, stellten die Herstellung von Branntwein unter die Kontrolle des Staates und überwachten die Einhaltung der Regeln.
Ein Beispiel für „Neues Bauen“ ist die Siedlung Märkische Scholle an der Albrechtstraße. Die Zeilenbauweise sorgte für viel Licht und direkten Zugang ins angrenzende Grün. Doch Architekt Erwin Anton Gutkind bekam Ärger, weil die Zeilen nicht zur üblichen Berliner Randbebauung und zum Städtegrundriss passten. Sogar die Baupolizei griff ein. Schließlich wurden nur knapp 400 der geplanten 1000 Wohnungen fertig.
In anderer Hinsicht etwas Besonderes ist der „Siedlungsbau Mariendorf“, ein U-förmiger Bau an der Rathausstraße im sachlich-funktionalem Stil. Nach Kenntnisstand der Kuratoren handelt es sich um das einzige Berliner Mietshaus, das eine Frau während der Weimarer Republik entworfen hat: Ella Briggs, die erst 1920, als 40-Jährige, ihr Diplom in München machen durfte und das erste weibliche Mitglied im Bund Österreicher Architekten war.
Zuletzt kam in der Weimarer Republik Marienfelde
Die letzte Siedlung, die während der Weimarer Republik in Bau ging, war die Stadtrandsiedlung Marienfelde. Sie sollte vor allem Arbeitslosen und ihren Familien eine Heimstatt bieten. Pro Haus stand ein Darlehen von nur 3000 Reichsmark zur Verfügung. Die Menschen packten beim Bau mit an und mussten bereit sein, ihre kleinen Äcker zu bestellen. Nach der ersten Ernte begannen sie, das Geld mit geringem Zins zurückzuzahlen und wurden Erbpächter. Die Häuschen präsentierten sich bescheiden: Das Wohnzimmer kaum größer als zwölf Quadratmeter, zwei enge Schlafräume für Eltern und Kinder. Wer mehr Platz wollte, hatte die Möglichkeit, den Dachstuhl auszubauen. Davon machten viele Gebrauch. „Es gab schnell Änderungsanträge bei der Baupolizei, zum Beispiel auch für das Anlegen einer Veranda“, so Holt.
Er und seine Kollegen glauben, dass es noch mehr Häuser und Siedlungen gibt, die zwischen 1920 und 1933 entstanden. Eventuell existierten sie heute nicht mehr, so Holt. Um sie aufzuspüren, wurde ein Mitmachkasten in der Ausstellung platziert, wo die Besucher Hinweise hinterlassen können.
Die Ausstellung „Wege aus der Wohnungsnot – Bauen für Groß-Berlin in Tempelhof“ ist bis zum 13. September geöffnet, sonntags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 14 Uhr und sonnabends von 11 bis 15 Uhr. Der Eintritt ist frei. Anmeldung für Gruppen unter museum@ba-ts.berlin.de, Telefon 902 77 61 63. Der zweite Teil der Ausstellung, der sich mit Baugeschehen in Schöneberg beschäftigt, wird am 1. August im Museum an der Hauptstraße 40 eröffnet.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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