Dornenkrone neben Hakenkreuz:
Die evangelische Martin-Luther-Gedächtniskirche ist ein "Denkmal nationaler Bedeutung"
Die Martin-Luther-Gedächtniskirche in der Riegerzeile 1 ist ein Zeitzeugnis besonderer Art. Erbaut wurde sie in den Jahren 1933 bis 1935, zu einer Zeit, in der die Nazis das Sagen hatten. Das spiegelt sich bis heute im Innenraum wider.
Schon im Vorraum geht es eher deutsch-national als religiös zu. Er ist als Ehrenhalle für die Gefallenen im Ersten Weltkrieg gestaltet. An der Decke hängt ein „Heldenleuchter“ mit Eisernem Kreuz und Eichenlaub, an gegenüberliegenden Wänden befinden sich Porträts von Reichspräsident Paul von Hindenburg und des Reformators Martin Luther, früher eines von Adolf Hitler.
Betritt der Besucher den Kirchenraum, dann fällt ihm der zum Altar hin leicht abfallende Boden auf, was an einen Theaterraum oder ein Kino erinnert. Eindeutiger Blickfang ist jedoch der „Triumphbogen“ mit seinen 800 Keramikplatten, die 36 wiederkehrende Motive zeigen. Hier reihten sich ursprünglich nationalsozialistische und christliche Symbole: die Dornenkrone neben einem Hakenkreuz im Strahlenkranz, das Christusmonogramm über dem NS-Hoheitszeichen, das Emblem der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt unter drei Rosen, die für Liebe und Reinheit stehen. Die genannten Nazi-Symbole wurden entfernt, noch zu sehen sind die Köpfe eines SA-Manns und eines Frontsoldaten sowie eine Faust mit Hammer, die an Plakate der Deutschen Arbeiterfront erinnert.
Auch die Abbildungen auf dem Taufblock sprechen eine deutliche Sprache: ein in Andacht versunkener Soldat in Uniform, eine idealisierte Mutter mit Kind auf dem Arm. Weiter geht es an der Kanzel. Hier befindet sich ein Relief mit Jesus, der Menschen der 1930er-Jahre seine Botschaft verkündet, darunter ein Soldat mit Stahlhelm, ein Hitlerjunge und ein SA-Mann, der Horst Wessel darstellen könnte. Selbst Christus am Altarkreuz blickt nicht leidend, sondern wie ein „deutscher Held“ mit trotzig gerecktem Kinn.
Die prächtige Walcker-Orgel hat ebenfalls eine ungewöhnliche Geschichte. Weil die Gemeinde nicht genug Geld für das Instrument beisammen hatte, befand es sich 1935 noch in der Orgelbau-Werkstatt. Ohne das Wissen der Kirchenmitglieder ließ Reichsleiter Martin Bormann sie zum Reichsparteitag schaffen, wo die Nürnberger Gesetze verkündet wurden. Dort sorgte sie, aufgestellt hinter einem Vorhang und begleitet von einem Orchester, für die pompöse musikalische Begleitung des braunen Spektakels, erzählt Friedrich-Wilhelm Schulze, Kantor bei der Evangelischen Kirchengemeinde Mariendorf. „Orgeln wurden von den Nazis oft eingesetzt. Sie passen zum Führerprinzip: Nur eine Taste muss gedrückt werden, und 1500 Pfeifen gehorchen“, sagt er.
Aber auch andere Geschichten kann die Kirche erzählen. So taufte Pfarrer Max Kurzreiter im November 1938 hier die Jüdin Johanna Klepper und segnete anschließend ihre Ehe mit dem Dichter Jochen Klepper. Heute trägt das benachbarte Gemeindehaus in der Rathausstraße 28 den Namen des Paares, das Ende 1942 keinen Ausweg mehr sah und sich das Leben nahm.
Zwischenzeitlich war es um die Zukunft der Martin-Luther-Gedächtniskirche nicht gut bestellt. Frostschäden hatten dem Mauerwerk arg zugesetzt. Von 2004 bis 2011 war der Turm eingerüstet, um eine „Hinterluftfassade“ zu bauen, ein aufwendiges und teures Prozedere. „Jetzt sind die neuen, nachgebrannten Kacheln und der Beton dreieinhalb Zentimeter voneinander entfernt“, erklärt Schulze. Um Bundesmittel für die Sanierung zu bekommen, musste ein umfangreiches Gutachten zunächst nachweisen, dass es sich bei der Kirche um ein „Denkmal nationaler Bedeutung“ handelt.
Für die Mitglieder der Kirchengemeinde stand das schon vorher außer Frage, und auch deshalb erinnern sie regelmäßig mit Veranstaltungen und Ausstellungen an die Zeit des Nationalsozialismus. Zum Beispiel gibt es seit vielen Jahren am 27. Januar und 9. November Gottesdienste, die der Befreiung von Auschwitz beziehungsweise der Reichspogromnacht gedenken.
Vor allem aber soll die Kirche ein Ort der Versöhnung sein. Deshalb gehört die Gemeinde der Nagelkreuzgemeinschaft von Coventry an. Die Geschichte dahinter: Im November 1940 legte die deutsche Luftwaffe die englische Stadt samt Kathedrale in Schutt und Asche. In der Ruine des Gotteshauses predigte Dompropst Richard Howard wenige Wochen später, zu Weihnachten, ein ausdrückliches Nein zur Vergeltung. Nägel aus den verkohlten Deckenbalken wurden zu „Nagelkreuzen“, Symbolen der Versöhnung, zusammengefügt.
Eines davon steht in der Martin-Luther-Gedächtniskirche. Jeden vierten Freitag im Monat um 18 Uhr gibt es eine Nagelkreuzandacht. Für jedermann geöffnet ist das Gebäude an diesen Tagen bereits ab 17 Uhr. Interessierte können sich dann umsehen und an Tafeln die Geschichte der Kirche nachlesen. Auf Wunsch und nach Anmeldung unter gemeinebuero@mariendorf-evangelisch.de oder Telefon 706 50 05 finden auch Führungen statt.
Weitere Infos unter www.mariendorf-evangelisch.de
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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