"Die Texte bekommen etwas Großes"
Schüler des Eckener-Gymnasiums haben über Europa geschrieben - Schaupieler lesen vor
Im Eckener-Gymnasium gibt es ein seltenes Angebot: Elftklässler üben sich im journalistischen Schreiben. Einige von ihnen sind am 15. August beim Literaturprojekt „Europa – Meine Heimat? Meine Zukunft?“ des Jugendorchesterfestivals Young Euro Classic vertreten. Schauspieler Boris Aljinovic und Olivia Marei werden im Konzerthaus am Gendarmenmarkt ihre Texte lesen.
Christine Hohmeyer unterrichtet eigentlich Politik und Musik. Aber sie hat auch einen journalistischen Background: Früher schrieb sie für die taz. So lag es nahe, dass sie im Eckener-Gymnasium die Betreuung der Schülerzeitung übernahm. Den Kurs gründete sie vor fünf Jahren, um Jugendliche für die Mitarbeit an der Zeitung zu begeistern. Inzwischen sei er jedoch zu einer eigenständigen Größe geworden, sagt sie.
Zweimal in der Woche treffen sich die Teilnehmer, tauschen Ideen aus, lernen etwas über die verschiedenen Formate, sprechen über ihre zu Hause geschriebenen Rohtexte und feilen sie gemeinsam zurecht. „Manche Schüler müssen erst ganz viel wieder verlernen“, so Hohmeyer. Langweilige Einstiege, Zusammenfassungen, Formeln wie „Im Folgenden werde ich“: Das alles verbietet sich. „Es ist interessant, wie unterschiedlich Schüler ticken“, sagt die Lehrerin. Der eine müsse sich erst einen ausführlichen Schreibplan machen, die andere könne sofort loslegen, der dritte verrate zu Beginn schon viel zu viel, die vierte habe eine tolle Idee, komme aber mit der Überarbeitung des Texts nicht klar.
Mehr als EU und Champions League
Nach einer Bewerbung bei Young Euro Classic steht seit drei Jahren das Schreiben über Europa regelmäßig auf der Arbeitsliste. Neben der Eckener-Schule nimmt übrigens nur das Wilmersdorfer Goethe-Gymnasium an dem Projekt teil. „Europa, das ist nicht nur die EU oder die Champions League“, so Hohmeyer. Die Themenpalette halte sie bewusst breit. So präsentiert eine Schülerin ein Gedicht über Käsesorten, um die europäische Vielfalt zu spiegeln. Auch eine „Wutrede“ habe es schon gegeben, verfasst von einem aus Syrien geflüchteten Mädchen, das sich in Deutschland als Mensch zweiter Klasse fühlte. „Das Format war sehr ungewöhnlich und hat uns verblüfft“, erzählt Hohmeyer.
Bei Young Euro Classic dabei ist auch der 16-jährige Paolo mit einem „Kammerspiel“. Darin versammelt er seine Familie um den Abendbrottisch, den Vater, Kind italienischer Eltern, seine deutsche Mutter und seinen Bruder. Vom Fußball wandert das Gespräch schnell zu der Frage, wo der Vater sich zu Hause fühlt und wie es um seine Söhne steht: Während Paolo es bedauert, keinen Kontakt zum Herkunftsland des Vaters zu haben und nicht Italienisch zu sprechen, legt sein Bruder größten Wert darauf, „wirklich deutsch rüberkommen“.
„Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich es sein kann, was man als Heimat empfindet. Selbst innerhalb einer Familie und unter Brüdern mit gleicher genetischer Herkunft“, sagt Paolo. Er betont jedoch, das von ihm niedergeschriebene Gespräch sei ein Kunstprodukt und habe in dieser Form nie stattgefunden. Zwei, drei Konversationen mit Eltern und Bruder hätten ihm als Basis gedient, doch im Text spitze er die Aussagen zu. „Das muss wohl auch so sein. Aber ich hatte anfangs große Schwierigkeiten damit, etwas, was Menschen wirklich gesagt haben, in einen anderen Zusammenhang zu setzen“, erzählt er.
"Brexit" als "Sackgasse"
Obwohl jetzt erst in der elften Klasse, hat Paolo bereits zweimal an dem Europa-Projekt teilgenommen. Dazu aufgefordert wurde er von Christine Hohmeyer, die ihn von der Schülerzeitung her kennt und dessen Chefredakteur er inzwischen ist. Einmal hat Paolo einen Mix aus Gedicht und Theaterstück beigesteuert. Das andere Mal entwarf er ein europäisches Lexikon der Zukunft, das im Jahr 2059 den Begriff „Brexit“ mit „Sackgasse“ erklärt.
Christine Hohmeyer würde es freuen, wenn viele Menschen zu der Lesung kämen, natürlich ist auch sie selbst mit den Jugendlichen vor Ort. „Das Ganze geht weit über eine Schulveranstaltung hinaus. Die Schauspieler schaffen eine andere Aura, die Texte bekommen plötzlich etwas Großes.“ Großartig finde sie auch den demokratiepädagogischen Effekt: „Die Schüler erfahren: Ihr habt eine Stimme, und wenn ihr euch anstrengt, wird diese Stimme auch gehört.“
Die Lesung findet statt am Sonntag, 15. August, um 16 Uhr. Der Eintritt beträgt fünf Euro, Kinder unter zehn Jahren frei. Tickets gibt es unter https://bwurl.de/170a.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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