An der Front gegen das Virus
Im Gesundheitsamt kämpft ein bunt zusammengewürfeltes Team gegen Corona

Sina Bärwolff hat als Leitende Amtsärztin des Bezirks seit März viel zu tun. | Foto: Philipp Hartmann
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Sina Bärwolff musste in ihrem Berufsbeleben schon viele Herausforderungen bewältigen. Die Leitende Amtsärztin im Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg erinnert sich noch gut an die Schweinegrippe, den Masernausbruch oder das Jahr 2015, als plötzlich eine große Zahl Geflüchteter medizinisch versorgt werden musste. Das Coronavirus jedoch stellt auch für sie alles Bisherige in den Schatten.

Die ersten Wochen der Krise, als die Zahl der Infizierten steil nach oben ging, seien besonders hart gewesen. Für eine solche Situation habe sie kein Konzept aus der Schublade holen können. „Wir haben täglich bis zu zwölf Stunden im Gesundheitsamt verbracht. Viele Mitarbeiter mussten sehr belastungsfähig sein und ad hoc komplett neue Aufgaben übernehmen“, berichtet sie. Um den unsichtbaren Feind einzudämmen, musste das Amt innerhalb kurzer Zeit personell enorm verstärkt werden. Normalerweise kommt die Aufgabe des Infektionsschutzes sieben Gesundheitsaufsehern zu. Dazu gibt es zwei Arztstellen. In der Spitze waren laut Sina Bärwolff jedoch insgesamt 130 Mitarbeiter ausschließlich wegen Corona im Einsatz. Die Arbeitszeiten wurden so verändert, dass das Amt 24 Stunden besetzt ist, auch am Wochenende. Aus allen Abteilungen des Gesundheitsamts und anderen Fachabteilungen des Bezirksamts wurden Kollegen zusammengezogen und in ihren neuen Aufgabenbereich eingearbeitet.

Die Arbeit ist auf zehn Teams verteilt. Jeden Morgen treffen sich deren Leiter, um sich auszutauschen. Ständig müssen sie neue Verordnungen aus der Politik lesen und die Regelungen in anderen Bundesländern im Blick behalten. Nur so lassen sich Fragen von Bürgern kompetent beantworten. Außerdem berät das Amt Gewerbetreibende, Schulen oder Institute, die Hygienekonzepte zur Durchsicht schicken. Im Besprechungsraum werden stets die neuen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts ausgehängt. Team eins betreut die Hotline, wo Fragen aus der Bevölkerung beantwortet werden. Darunter sind auch immer mal kuriose wie: „Schützen blaue Masken besser als rote?“ oder „Mein Hund hustet. Ist er gefährdet?“

Komplexes Arbeitsfeld

Team zwei sichtet die Verdachtsfälle und verteilt diese nach Wichtigkeit. Das dritte und das vierte Team ermitteln Fälle sowie Kontaktpersonen von Infizierten und entscheiden, wer sich in Quarantäne begeben muss. Die ärztliche Einsatzleitung ist das fünfte Team. Team sechs ist dafür verantwortlich, mit den Menschen in Quarantäne Kontakt zu halten und regelmäßig nach Symptomen zu fragen. Team sieben ist mit Datenerfassung und Datenmanagement beschäftigt, während Team acht direkt zu den Betroffenen fährt, um in voller Schutzmontur Abstriche zu machen. Das neunte Team konzentriert sich auf die interne Personalplanung, erstellt Dienstpläne und richtet Computer und Telefone an den Arbeitsplätzen ein. Die Hygiene- und Abstandsregeln werden strikt eingehalten. In manchen Büros wurden extra Trennwände aus Sperrholz eingesetzt. Team zehn schließlich kümmert sich um die Einführung und korrekte Anwendung der Seuchenschutz-Fachsoftware SORMAS, die das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung 2014 als Reaktion auf den Ebola-Ausbruch in West-Afrika entwickelt hat. Darin erfassen die Gesundheitsämter nun alle Corona-Fälle.

Zur Mannschaft von Amtsärztin Bärwolff zählt unter anderem Jessica Kornow. Normalerweise arbeitet sie in der Pressestelle des Bezirksamts und koordiniert dort Veranstaltungen. Jetzt ist sie als Fallermittlerin gefragt. Manuela Giermann zählt zum Hotline-Team, ist sonst aber für den Außendienst des Ordnungsamts unterwegs. Auch Sibel Baladin kommt als Mitarbeiterin des Straßen- und Grünflächenamts aus einem ganz anderen Fachbereich. Gemeinsam mit Frances Schmuck, die eigentlich Logopädin ist, bildet sie das Software-Team. Ina Lanzerath kannte als Zahnärztin zumindest schon vor der Corona-Krise die Struktur des Gesundheitsamts.

Schnell mit neuen Situationen zurechtkommen

Sie alle haben sich mit ihrer neuen Tätigkeit längst arrangiert. „Wir kannten uns vorher nicht, aber diese harte Zeit durchzustehen, hat uns zusammengeschweißt. Menschlich haben wir sehr viel gewonnen“, erzählt Sibel Baladin. Einige von ihnen können sich jetzt sogar vorstellen, dauerhaft im Gesundheitsamt zu arbeiten. „Ich würde die Kolleginnen gerne übernehmen“, sagt Sina Bärwolff. „In dieser völlig ungewohnten und stressigen Situation zu arbeiten, ist eine wirklich schwierige Aufgabe. Aber sie haben das super gemeistert“, bedankt sie sich.

Anerkennung gibt es auch aus der Politik. Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg haben vorgeschlagen, den Mitarbeitern eine Leistungsprämie auszuzahlen. „Ich kann das nur unterstützen und finde das super“, so Bärwolff. Sollte es zur zweiten Welle kommen, sieht sie den Bezirk gut vorbereitet. 30 Mitarbeiter seien jederzeit in Reserve. Aktuell wird das Amt von fünf Bundeswehrangehörigen unterstützt. Dass die Corona-Warn-App ihnen Arbeit abnimmt, glaubt sie nicht. Die könne die genaue Nachfrage der Fallermittler nicht ersetzen.

Autor:

Philipp Hartmann aus Köpenick

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