Das unscheinbare Grab einer Terroristin
Vor 45 Jahren wurde Ulrike Meinhof auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof beerdigt - warum gerade hier?
Die Inschrift könnte schlichter nicht sein: „ulrike marie meinhof 7.10.1934 – 9.5.1976“ ist in die Steinplatte gemeißelt. Auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof III, Eisenacher Straße 62, befindet sich das Grab jener Frau, die als Mitbegründerin der terroristischen Roten Armee Fraktion (RAF) in die bundesdeutsche Geschichte eingegangen ist.
Am 15. Mai 1976, es ist ein kühler Sonnabendvormittag, finden sich mehr als 4000 Menschen auf dem Friedhof ein. Die Beerdigung von Ulrike Meinhof gerät zur politischen Demonstration. Sechs Tage zuvor, nach vier Jahren Haft, ist die 41-Jährige in ihrer Zelle im Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim erhängt aufgefunden worden. Viele wollen nicht an einen Selbstmord glauben. Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer und der Verleger Klaus Wagenbach halten Reden am Grab der linken Journalistin, die 1970 damit begonnen hatte, zu bewaffneten Aktionen gegen den Staat aufzurufen.
Warum ist die bekannteste deutsche Terroristin ausgerechnet im gutbürgerlichen Mariendorf begraben? In einigen Veröffentlichungen ist zu lesen, kein anderer Friedhof sei damals bereit gewesen, die Verstorbene aufzunehmen. Doch daran zweifelt Jürgen Quandt, Pfarrer im Ruhestand. „Dass es eine generelle Verweigerung der Friedhofsverwaltungen in Berlin-West gegeben hat, ist eher unwahrscheinlich“, meint er. Schließlich spreche das Friedhofswesen in der Stadt nicht mit einer Stimme, sondern sei dezentral organisiert: Für die kommunalen Begräbnisstätten zeichnen die einzelnen Bezirke, für die kirchlichen die Gemeinden verantwortlich.
Quandt war ab 1980 Pfarrer der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Gemeinde, die zu jener Zeit auch den Dreifaltigkeitsfriedhof III verwaltete. Und hier könnte die Antwort auf die Frage liegen. Denn 1974 besetzten RAF-Sympathisanten die Heilig-Kreuz-Kirche auf dem Blücherplatz. Anlass war der Hungerstreik von inhaftierten Terroristen, darunter Ulrike Meinhof.
„Die Gemeindeleitung hatte sich für eine gewaltfreie Beendigung der Besetzung eingesetzt und einen Dialog mit den Besetzern geführt. In der Folge kam es auch zu einem Besuch des damaligen Bischofs Scharf bei Ulrike Meinhof“, so Jürgen Quandt. Daraufhin sei der evangelischen Kirche öffentlich unterstellt worden, sie sympathisiere mit den Terroristen.
Die Politikerin und Autorin Jutta Ditfurth schreibt in ihrer Biographie, diese Ereignisse seien für Meinhofs Familien bei der Wahl der Heilig-Kreuz-Gemeinde und damit des Dreifaltigkeitsfriedhofs III entscheidend gewesen. „Belege zu den dort geäußerten Annahmen und Behauptungen fehlen allerdings“, so Quandt, dennoch spräche einiges für die Version von Ditfurth. Die damals Verantwortlichen der Gemeinde könnten keine Auskunft mehr geben, weil sie entweder nicht mehr am Leben oder nicht zu erreichen seien. Auch die Schwester von Ulrike Meinhof, die die Beisetzung organisiert hat, ist inzwischen verstorben.
Was die Familie lange nicht wusste: Meinhof war ohne Gehirn beerdigt worden. Es wurde nach ihrem Tod entnommen und auf krankhafte Veränderungen untersucht, die auf eine verminderte Schuldfähigkeit hätten hinweisen können. Tatsächlich hatte sich Ulrike Meinhof 1962 einer Operation wegen des Verdachts auf einen Gehirntumor unterzogen. Erst im Jahr 2002 erfuhren ihre Angehörigen von der Entnahme. Das Gehirn wurde eingeäschert und an ihrem Grab bestattet.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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